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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 11


  »Das soll doch wohl ein Witz sein«, schnauze ich empört. »Du willst, dass ich Prinzessinnenunterricht nehme?«

  »Zweimal täglich.«

  »Das ist absurd!« Ich springe auf. »Ich werde mich nicht demütigen lassen, indem ich in einem Ballsaal herumstolziere und lerne, wie man poussiert und huldvoll winkt wie eine Idiotin mit Diadem auf dem Kopf.«

  »Dann fürchte ich, dass du nicht bekommen wirst, was du haben willst.« Er zuckt leicht mit den Schultern, als wäre ihm egal, wofür ich mich entscheide. Doch sein Blick bleibt aufmerksam. »Was willst du denn überhaupt, Emilia? Ich stelle mir vor, dass es etwas überaus Wichtiges sein muss, wenn du dafür bereit bist, auch nur vorübergehend eine Rolle einzunehmen, die du so eindeutig verabscheust.«

  Lass nicht zu, dass Wut dein Urteilsvermögen trübt.

  Konzentriere dich auf dein Ziel.

  Konzentriere dich darauf, nach Hause zu gelangen.

  Ich lasse mich langsam wieder auf meinen Stuhl zurücksinken und atme tief ein. »Ich bin immer noch der Meinung, dass ein Monat nicht ansatzweise genug Zeit ist.«

  Er sagt kein Wort.

  »Aber ich werde mich darauf einlassen«, stimme ich zu und verziehe beim Gedanken daran das Gesicht. »Wenn du mir im Gegenzug das gibst, was ich will.«

  »Was da wäre?«

  Ich schlucke schwer. »Erstens: Ich will meine Sachen zurückhaben, inklusive meinem Handy, damit ich den Freund anrufen kann, mit dem ich gestern Abend unterwegs war, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut geht. Außerdem würde ich ihn gerne persönlich sehen – heute , falls möglich.«

  »Das wäre dann wohl …« Er wirft einen Blick auf eine Aktenmappe auf seinem Schreibtisch. »Mr Owen Harding?«

  Ein Schreck durchfährt mich. »Ja. Woher weißt du das? Ist ihm etwas passiert?«

  »Ich versichere dir, dass es ihm absolut gut geht. Tatsächlich geht es ihm sogar so gut, dass er ohne Unterlass im Palast angerufen und verlangt hat, mit dir zu sprechen, seit dich die Sicherheitsleute gestern Abend hierhergebracht haben.«

  »Was?«

  Linus nickt. »Er ist ein äußerst hartnäckiger Bursche.«

  Ich fahre mit einer Hand durch mein Haar. »Er muss vor Sorge ganz außer sich sein …«

  »Wir werden natürlich dafür sorgen, dass dein Freund herkommen kann – nachdem man ihn auf potenzielle Sicherheitsbedrohungen überprüft hat.«

  »Er ist keine Sicherheitsbedrohung! Und er ist nicht mein fester Freund.«

  »Mein Fehler.« Wieder zieht er die buschigen Augenbrauen hoch. »So viel Zuneigung erlebt man nur selten bei einem … Freund.«

  »Vielleicht brauchst du neue Freunde.«

  Seine Augen blitzen auf. »Nun, da wir die Angelegenheit mit Mr Harding geklärt haben … gehe ich davon aus, dass du auf deiner Liste mit Forderungen noch mehr Punkte hast, richtig?«

  »Richtig.« Ich straffe die Schultern. »Mein Praktikum.«

  »Im Zentrum für Klinische Psychologie der Universität von Vasgaard. «

  Wieder überrascht mich sein ausführliches Wissen über mein Leben. »Ja.«

  »Ein anspruchsvolles Programm.«

  »Genau. Ich habe hart gearbeitet, um mir meinen Platz dort zu verdienen, und ich werde nicht zulassen, dass all das hier …« Ich deute mit einer vagen Geste im Zimmer umher. »… ihn in Gefahr bringt, vor allem nicht, weil ich kurz vor meinem Abschluss stehe. Während dieser Probezeit werde ich weiterhin meine Kurse besuchen.«

  »Das ist nicht möglich.«

  Ich erstarre. »Einfach so? Ohne Diskussion?«

  »Einfach so.«

  »Ich muss also Prinzessinnenunterricht nehmen und meinen echten Unterricht aufgeben?«, schnaube ich. »Das ist absurd! Ich dachte, dass das hier ein Handel wäre!«

  »Bis zu einem gewissen Punkt. Allerdings können wir deine Sicherheit nicht garantieren, wenn du unbeaufsichtigt auf einem Universitätsgelände herumspazierst.«

  »Niemand weiß überhaupt, wer ich bin«, argumentiere ich. »Ich bin nicht in Gefahr.«

  »Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Wir haben noch keine definitiven Informationen darüber, wie es zu dem Feuer gekommen ist. Allerdings glaubt der Leiter meines Sicherheitsteams, dass Brandstiftung dahintersteckt. Es ist noch nicht offiziell bekannt, aber … jemand versetzte Henry einen Schlag auf den Kopf, bevor sich die Flammen ausbreiteten, und ließ in zum Sterben in seinen Gemächern zurück. Was bedeutet, dass das kein Unfall war. Es war ein Anschlag. Es war Mord .«

  Ich reiße die Augen auf. Ich hatte schon vermutet, dass diese Möglichkeit in Betracht kommen könnte, aber diese Vermutung nun bestätigt zu hören fühlt sich trotzdem wie ein Schlag in die Magengrube an. Linus wirkt plötzlich so alt, wie er tatsächlich ist. Die ganzen dreiundsiebzig Jahre seines Lebens liegen auf seinen Schultern wie eine zentnerschwere Last.

  »Mein Bruder ist tot. Meine Schwägerin ist tot. Mein Neffe liegt auf der Intensivstation und ringt dort um sein Leben. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um unangemessene Risiken einzugehen, Emilia.«

  »Das verstehe ich«, murmle ich. »Allerdings …«

  »Nein . Meine Entscheidung ist unumstößlich. Bis wir wissen, ob es sich hierbei um eine tatsächliche Bedrohung handelt, wer die Täter sind und ob irgendwelche anderen Mitglieder dieser Familie Ziele weiterer Anschläge sein könnten, müssen wir zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter ihr Leben wegen etwas aufs Spiel setzt, das sich problemlos mit einem Brief an den Dekan und einer vorübergehenden Auszeit vom Studium regeln lässt.«

  Das Wort »Tochter« hängt schwerer als Nebel zwischen uns in der Luft. Ich senke den Blick auf die schimmernde Oberfläche seines Schreibtischs und tue mein Bestes, um es zu ignorieren.

  »Ich will keine Auszeit einlegen«, flüstere ich.

  »Dann werden wir dich für Onlinekurse einschreiben.«

  »Und mein Praktikum?«, hake ich nach und hebe den Blick wieder. »Wie kann ich Patienten besuchen oder Behandlungen anwenden oder lernen, wie man Diagnosen stellt, wenn ich vor einem Computerbildschirm sitze?«

  Er schüttelt den Kopf. »Der Palast hat viele Möglichkeiten. Verbindungen zu jeder akademischen Einrichtung auf der Welt. Solltest du dich am Ende unserer Probezeit entscheiden abzudanken, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du einen Studienplatz in dem Fachbereich bekommst, den du einschlagen willst.«

  »Aber …«

  »Emilia. Was dieses Thema betrifft, werde ich nicht nachgeben. Das kann ich nicht verantworten.«

  Ich balle die Hände zu Fäusten und werfe dem Mann über den Schreibtisch hinweg giftige Blicke zu. Als ich seine unnachgiebig gestrafften Schultern und den fest zusammengepressten Mund sehe, wird mir plötzlich klar, woher ich meine störrische Art habe.

  Wir stecken in einer Sackgasse.

  Ich will auf gar keinen Fall mein Praktikum aufgeben. Ich habe so hart gearbeitet, um den Platz zu bekommen. Aber ich bin klug genug, um zu wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Linus eine königliche Stellungnahme über mich an die Presse herausgibt, sofern sich niemand einmischt. Und wenn die Katze einmal aus dem Sack ist … wird man sie nicht mehr einfangen können. Dann werde ich für immer in diesem Leben feststecken.

  Als Thronfolgerin.

  Als Kronprinzessin.

  Soweit ich das sehen kann … ist dieser Handel die einzige Chance, die mir bleibt, wenn ich an meinen Träumen festhalten will. An meinem Leben. An meiner Identität. An meinem Zuhause.

  »Es muss noch etwas anderes geben«, mischt sich Linus, der meine Gedanken zu lesen scheint, plötzlich ein. »Etwas von gleichem oder größerem Wert für dich, das ich dir im Austausch für die Opfer anbieten kann, die du bringst.«

  Ich schaue ihn sehr lange an. »Es gibt da etwas.«

  »Raus mit der Sprache.«

  »Mein Haus … Ninas Haus. «

  Als ich den Namen meiner Mutter ausspreche, erstarrt er. »Was ist damit?«

  »Die Hypothek …« Ich atme scharf ein. »Nachdem ich neben den Kursen auch noch das Praktikum anfing, hatte ich weniger Zeit zum Kellnern. In letzter Zeit is
t es für mich nicht leicht gewesen, die Zahlungen zu leisten.«

  »Ah. Und wie hoch ist die ausstehende Summe?«

  Ich halte inne. »Etwa einhunderttausend Dollar.«

  »Ich verstehe.«

  »Es war nicht Moms Schuld. Das Haus war fast abbezahlt. Aber als sie starb …« Ich schaue ihm in die Augen und ertrinke fast in meiner Scham. »Wegen der Krankenhausrechnungen und meinen Studiengebühren blieb mir keine andere Wahl, als unsere Schulden zu bündeln. Eine zweite Hypothek war die einzige Möglichkeit, die mir einfiel, um über die Runden zu kommen.«

  »Ich verstehe.« Er betrachtet mich ernst. »Ich gehe davon aus, dass ich die ausstehende Summe als Teil unserer Abmachung übernehmen soll.«

  Das Einzige, was ich noch mehr hasse, als um Hilfe zu bitten, ist, um Geld zu bitten. Dadurch fühle ich mich schmutzig. Ich fühle mich gedemütigt und in meinem Stolz verletzt, weil ich diese Angelegenheit nicht selbst in Ordnung bringen kann. Aber dieses Gefühl ist nichts im Vergleich zu der Verzweiflung, die ich empfinde, wenn ich darüber nachdenke, dass ich das Haus verlieren könnte.

  Jedes Zimmer, jede Wand, jede Bodendiele ist mit Erinnerungen an meine Mutter durchtränkt. In der Küche haben wir zusammen aufwendige Gerichte gekocht. Im Hinterzimmer vor dem alten Holzofen haben wir gelesen oder an kühlen Herbstabenden unter einer Decke gehockt und Schwarz-Weiß-Filme geschaut. Ich kann den Gedanken, meine letzte noch verbliebene Verbindung zu ihr zu verlieren, nicht ertragen.

  »Ja«, flüstere ich, und meine Stimme bricht. »Wenn du mir mit dem Haus helfen kannst, werde ich tun, was immer du von mir verlangst.«

  »Dann betrachte die Angelegenheit als erledigt«, stimmt Linus leichtfertig zu, als hätte ich ihn gebeten, mir fünf Dollar für eine Tüte Milch zu leihen und nicht meine komplette Hypothek zu übernehmen. »Ich werde morgen eine Zahlung anweisen.«

  Erleichterung durchströmt mich. Vielleicht werde ich heute Abend zum ersten Mal seit Monaten in der Lage sein einzuschlafen, ohne mich herumzuwälzen, von Umschlägen zu träumen, auf denen in roter Tinte ÜBERFÄLLIG steht, und mir Sorgen wegen der finanziellen Notlage zu machen, in die ich mich selbst gebracht habe.

  »Danke«, murmle ich.

  »Gibt es sonst noch etwas, das du haben willst?«

  Ich schüttle den Kopf und finde keine Worte mehr.

  »Dann einigen wir uns auf Folgendes: Ich werde die finanzielle Verantwortung für dein Haus übernehmen, dafür sorgen, dass jemand ein paar deiner persönlichen Besitztümer herbringt – zusammen mit Mr Harding, falls es ihm beliebt – und dir dabei helfen, eine neue Praktikumsstelle zu finden, wenn du dich für eine Abdankung entscheiden solltest. Im Gegenzug wirst du hier wohnen – und sobald es wieder sicher ist auch im Palast –, bis in einem Monat meine Krönung stattfindet. Du wirst mir für formelle Anlässe, öffentliche Auftritte und alles, was ich sonst noch für nötig erachte, zur Verfügung stehen. Zweimal täglich wirst du ›Prinzessinnenunterricht‹ erhalten, wie du es so charmant genannt hast. Und vor allem wirst du absolut unvoreingenommen an die Rolle herangehen, die du übernehmen wirst, falls du dich dafür entscheiden solltest, deine Position als meine Erbin anzutreten.« Er fixiert mich mit einem ernsten Blick. »Sind wir uns diesbezüglich einig?«

  »Ja«, sage ich, obwohl mich die bloße Aussicht auf die Wochen, die vor mir liegen, erschöpft. »Wir sind uns einig.«

  »Sollen wir es mit einem Handschlag besiegeln?« Er streckt eine Hand über den Schreibtisch hinweg aus. »Um es offiziell zu machen?«

  Langsam strecke auch ich meine Hand aus und lasse sie in seinen festen Griff gleiten. Er zerrt meine Hand nicht mit einer schüttelnden Bewegung nach oben und unten, wie man es bei einem normalen Handschlag machen würde. Er hält sie einfach nur fest und drückt sie leicht, während er mir in die Augen sieht. Unter den Umständen ist es ein seltsam ergreifender Moment. Das Gleiche gilt für die Erkenntnis, die mich plötzlich trifft: Wenn Linus nicht mein biologischer Vater wäre, mit all den enttäuschten Hoffnungen, die dieser Umstand mit sich bringt …

  Glaube ich, dass ich ihn vermutlich mögen würde.

  »Danke noch mal«, sage ich stockend und ziehe meine Hand zurück. Dann schiebe ich beide Hände unter meine Oberschenkel. »Dafür, dass du mich nicht ausgelacht hast. Dafür, dass du mir zugehört hast. Fürs … Verhandeln .«

  Er nickt so ernsthaft wie immer. »Tatsächlich bin ich ziemlich beeindruckt. Nur ein schlechter Verhandlungsführer würde ein Angebot blind annehmen, ohne die Bedingungen zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass seine eigenen Interessen gewahrt werden.«

  Hat mir mein Vater gerade … ein Kompliment gemacht?

  Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also nicke ich einfach.

  »Gib beim nächsten Mal nicht so schnell nach«, fügt er in leichterem Tonfall hinzu. »Wenn du standhafter geblieben wärst, hättest du mir den Prinzessinnenunterricht vielleicht ausgeredet.«

  Mein Mund klappt auf. »Aber … du hast gesagt, dass diese Bedingungen nicht verhandelbar wären!«

  »Betrachte das als deine erste Lektion: Alles ist verhandelbar, Emilia. Der Buchstabe des Gesetzes, der Wille des Volkes … sogar das Wort eines Königs.«

  »Das ist nicht fair«, brumme ich. »Ich will eine zweite Chance.«

  »Das ist die zweite Lektion: In der Politik gibt es keine zweiten Chancen, wie du es nennst.«

  Ich seufze. »Tja, das ist ätzend.«

  »Und damit beginnt die Probezeit.« Er zieht die Mundwinkel hoch. »Wenn du morgen deine erste Unterrichtsstunde hast, werde ich dafür sorgen, dass dir deine Lehrerin die besten Methoden beibringt, um zu flirten und zu winken wie eine … Wie hast du das noch mal ausgedrückt?«

  »Wie eine Idiotin mit Diadem auf dem Kopf«, murmle ich.

  Er lacht. Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich ihn lachen höre. Es klingt eingerostet, so als würde er es nicht oft machen. »Bei Gott, du bist deiner Mutter so unfassbar ähnlich.«

  Ich schaue ruckartig auf. »Findest du?«

  »Allerdings.« Die Heiterkeit weicht aus seinem Tonfall und wird von einer herzzerreißenden Traurigkeit ersetzt. »Sie war eigensinnig. Wunderschön. Eine wahre Naturgewalt, vor der man sich in Acht nehmen musste.«

  »Das war sie.« Meine Augen prickeln gefährlich. Ich stehe auf und drehe mich zur Tür. »Ich sollte jetzt wirklich gehen.«

  »Emilia.« Seine Stimme lässt mich auf halbem Weg zur Tür innehalten.

  Ich schaue zurück .

  »Dass du sie verloren hast, tut mir wirklich furchtbar leid. Das hätte ich schon längst sagen sollen.« Er kneift die Augen zu. »Ich bin mir sicher, dass du sie schrecklich vermisst.«

  Warum klingt er so, als würde er aus Erfahrung sprechen?

  Bevor ich etwas Dummes machen kann, wie die Frage laut auszusprechen, schlüpfe ich aus seinem Arbeitszimmer und schließe die Tür fest hinter mir.

  10. KAPITEL

  Ich zerre einen Schrank auf, verziehe das Gesicht und schlage die Tür wieder zu.

  »Miss Emilia«, flüstert die scheue Haushälterin namens Patricia nun schon zum dritten Mal in ebenso vielen Minuten. »Wenn Sie mir einfach sagen würden, was Sie brauchen, werde ich es liebend gern für Sie zubereiten …«

  »Ich habe es Ihnen doch schon erklärt«, murmle ich und ziehe eine weitere Schranktür auf. Töpfe und Pfannen. Ich schließe den Schrank sofort wieder und gehe weiter. »Das Einzige, was ich brauche , ist eine Beschäftigung. Ich werde in diesem großen Haus noch verrückt, wenn ich den ganzen Tag lang nur herumsitze und nichts tue.«

  »Ja, Miss.«

  Ich widme mich einem weiteren Schrank. Dieser ist voller Putzmittel.

  Der nächste ist mit auf Hochglanz polierten Kerzenhaltern gefüllt.

  Weiter geht’s.

  Genau wie der Rest des Herrenhauses ist auch die Küche riesig. Ich bin fast dreißig Minuten lang durch die leeren Korridore gewandert, um sie zu finden. Sie befindet sich gut versteckt im Keller und ist nur über eine schmale Bedienstetentreppe erreichbar. Als ich die Treppe hinunterging, erwartete ich einen dunklen, feuchtkalten, fensterlosen Raum ohne Luftzirkulation. Stattdessen
fand ich einen bezaubernden Ort mit schmalen Oberlichtern an der Decke, die dafür sorgen, dass butterfarbenes Spätnachmittagslicht in sanften Strahlen auf jede einzelne Oberfläche fällt. Sehr zu Verwirrung der Hausangestellten – die mir versicherten, dass sie mir alles zubereiten könnten, wonach mir der Sinn stehe, wenn ich es nur zulassen würde – verbrachte ich die ersten zwanzig Minuten damit, einfach nur staunend umherzuwandern, mit den Fingern über die schimmernden Kupfertöpfe zu streichen, die von einer Vorrichtung an der Decke hängen, den Ziegelofen zu inspizieren, in dem Brote gebacken werden, und die Speiseaufzüge in den Wänden zu bewundern, die man benutzt, um während Abendgesellschaften die Gerichte auf schnellstem Weg von unten nach oben zu befördern.

  Zwischen den Arbeitsflächen aus Edelstahl stehen drei moderne Kühlschränke mit Glasfronten und mehr Kochutensilien, als ich je zuvor an einem einzigen Ort gesehen habe. Diese Küche ist ganz anders als die, mit der ich aufgewachsen bin – eine schmale Einbauküche, in der kaum genug Platz war, um sich umzudrehen, und die über einen so alten Gasherd verfügte, dass man die Brenner ohne Streichholz gar nicht anbekam.

  Aber ich wette, dass hier drinnen noch nie jemand so viel Spaß gehabt hat, wie Mom und ich ihn beim Zwiebelschneiden auf diesen rissigen Linoleumarbeitsflächen hatten. Wir lachten dann immer, bis uns die Tränen kamen.

  Nach meinem Treffen mit Linus kehrte ich direkt in mein Schlafzimmer zurück, starrte etwa eine Stunde lang die Wand an und fragte mich, ob ich einen gewaltigen Fehler begangen hatte. Ich quälte mich, indem ich alle Gegenargumente durchging, die ich hätte vorbringen sollen, und all die Punkte analysierte, von denen ich vergessen hatte, sie während unserer Verhandlung anzusprechen, bis ich das Gefühl hatte, dass mir vor lauter Anspannung jeden Moment der Schädel platzen würde.