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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 2


  »Das sind beruhigende Neuigkeiten. Der Herzog steht nach dem Kronprinzen in der Thronfolge an nächster Stelle – ist das korrekt, Mr Simms?«

  »In der Tat.«

  »Also … falls Prinz Henry … falls der Prinz …« Sie verstummt. Sofort macht sich Unbehagen in der Menge um mich herum breit, denn in ihren Worten liegt eine unaussprechliche Andeutung.

  Stirbt.

  Falls der Prinz stirbt.

  Simms zieht den Mund fest zusammen und hält all seine Emotionen sorgfältig unter der Oberfläche verborgen. »Seien Sie versichert … Caerleon wird nicht ohne Herrscher sein. Der Herzog ist voll und ganz darauf vorbereitet, sein Amt als Regent anzutreten, falls der Kronprinz aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sein sollte, seine Rolle zu erfüllen.«

  Die Nachrichtensprecherin nickt und sieht noch blasser aus als zuvor. »Bitte korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege, Mr Simms, aber der Herzog hat keine eigenen Kinder …«

  »Der Herzog hat zwei Stiefkinder aus seiner Ehe mit Lady Octavia Thorne«, erwidert er. »Aber Sie haben recht. Er hat keine eigenen rechtmäßigen Erben. «

  Rechtmäßig.

  Das Wort sorgt dafür, dass mir das Blut gefriert. Ich lege die Finger fester um das Glas. Owen rückt näher an mich heran, denn er spürt zweifellos meine Nervosität. Ich kann die Sorge, die er ausstrahlt, förmlich mit Händen greifen.

  »Hypothetisch gesehen … könnte das in Hinsicht auf die Thronfolge durchaus ein Problem darstellen, nicht wahr, Mr Simms?«

  »Mmm.« Gerald Simms blinzelt mit seinen Knopfaugen. »In Zeiten wie diesen werden wir leider daran erinnert, warum sich die königliche Familie über so viele Generationen hinweg an die Tradition gehalten hat, die Erbfolge zu sichern.« Er schüttelt den Kopf, und die Fettwülste unter seinem Kinn schwabbeln. »Falls der Herzog keinen Erben hervorbringen kann, mag sich Caerleon zum ersten Mal in der Geschichte mit der Situation konfrontiert sehen, keinen direkten Anwärter auf den Thron zu haben.«

  Ich wende den Blick von den Bildschirmen ab und spanne den Kiefer fest an. Ich kann mir das nicht länger anhören.

  »Das ist verdammt noch mal unfassbar.« Owen schnaubt, die attraktiven Gesichtszüge zu einer finsteren Miene verzogen. »Der König ist gerade erst tot, und schon gibt es Spekulationen um seine Nachfolge. Das sind doch alles Geier.«

  Ich ziehe die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch. »Und das sagt der Mann, der das gesamte Frühjahrssemester damit verbracht hat, an Protestmärschen gegen die Monarchie teilzunehmen. Mir war nicht klar, dass es dich überhaupt kümmert, wer die Krone trägt.«

  Er blickt zu mir hin und schaut mir lange in die Augen. In den Tiefen seiner Augen liegt etwas, das ich nicht deuten kann. Etwas, das mein Herz auf unangenehme Weise flattern lässt, während er sich ein kleines bisschen näher zu mir vorbeugt und seine Stimme zu einem barschen, wütenden Flüstern senkt.

  »Mich kümmert, was passieren könnte, falls diese Krone den Besitzer wechselt und auf einmal dem jüngeren Bruder des Königs, dem erlauchten Herzog von Arschhausen, zufällt. Verflucht noch mal, mich kümmert, was …« Er beißt sich auf die Unterlippe. Den Rest behält er für sich, aber er steht ihm klar und deutlich ins Gesicht geschrieben.

  Was das für dich bedeuten könnte, Emilia.

  Ich wende mich ruckartig ab und wünsche mir, dass ich die Angst, die plötzlich von mir Besitz ergreift, abwehren könnte. Ich wünsche mir, dass ich die Stränge meiner DNA so leicht ändern könnte wie die gefärbten Strähnen meiner Haare. Ich wünsche mir eine Menge nutzloser Dinge.

  Die nasale Stimme des Pressesprechers hallt in meinem Kopf wider wie eine Totenglocke.

  Falls der Herzog keinen Erben hervorbringen kann, mag sich Caerleon zum ersten Mal in der Geschichte mit der Situation konfrontiert sehen, keinen direkten Anwärter auf den Thron zu haben …

  Was würde passieren, wenn sie die Wahrheit erführen?

  Dass Linus sehr wohl eine Erbin hervorgebracht hat.

  Er wollte sie nur nicht haben.

  »Tut mir leid, Ems.« Owens Stimme holt mich in die Realität zurück. Als sich unsere Blicke treffen, schluckt er schwer, und sein Adamsapfel hüpft. »Ich wollte dich nicht anblaffen.«

  Mit einem schwachen schiefen Lächeln stoße ich mit meiner Schulter gegen seine, um ihm zu signalisieren, dass ich nicht sauer bin. Damit ich wirklich wütend auf Owen werde, bräuchte es schon deutlich mehr als ein paar barsche Worte. Wir sind schon miteinander befreundet, seit wir damals im Kindergarten Spindfächer bekamen, die direkt nebeneinander lagen. Wir sind in derselben Straße aufgewachsen – was ihn buchstäblich zum Jungen von nebenan macht. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er etwas tun könnte, um dieses Band zwischen uns zu zerreißen. Er ist die eine Konstante in meinem Leben, egal was sich sonst alles verändert.

  Die Sprecher im Fernsehen reden noch ein wenig länger miteinander und tauschen abscheuliche Wörter wie »Abstammung« und »Thronfolge« aus, aber ich blende sie aus, da ich zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt bin.

  Ich lasse den Blick geistesabwesend über die Grafiken wandern, die auf den Bildschirmen aufblitzen – ein königlicher Stammbaum, aus dem König Leopold und Königin Abigail bereits mit rigorosen schwarzen Linien herausgestrichen wurden. Ihre kleinen Porträtbilder scheinen mich geisterhaft und ernst vom Bildschirm aus anzustarren.

  In einem anderen Leben wären sie meine Verwandten gewesen.

  Meine Tante und mein Onkel.

  Nun sind sie nur noch eine Erinnerung.

  Wie betäubt starre ich auf den leeren Zweig des Lancaster-Familienstammbaums, der sich unter Linus befindet – der Zweig, auf dem mein Name stehen sollte –, und schlucke die Verbitterung hinunter, die wie Galle in meiner Kehle aufsteigt. Die Nachrichtensprecherin zoomt an sein Gesicht und an die Worte HERZOG VON HIGHTOWER heran, die unter seinem Bild stehen. Als ich sein ernst schauendes Gesicht betrachte, zucke ich unwillkürlich zusammen, weil er mir so unglaublich ähnlich sieht.

  Das gleiche dunkle, dichte Haar.

  Die gleichen tiefgrünen Augen.

  Die gleichen vollen Lippen, der gleiche trotzige Mund.

  »Wer ist das?«, flüstert eine der weinenden Frauen in der Menge ihrer Freundin zu und starrt mit geröteten Augen auf den Fernseher.

  »Hast du nicht zugehört? Das ist der jüngere Bruder des Königs, Linus. Der Herzog von Hightower«, erwidert ihre Freundin ebenfalls im Flüsterton. »Wenn der Prinz stirbt … kommt er an die Macht.«

  »Ist der nicht schon siebzig oder so?«, fragt die erste Frau.

  »Er ist letzten Monat dreiundsiebzig geworden«, murmle ich, ohne nachzudenken.

  Die beiden Frauen schauen beide ein wenig verblüfft in meine Richtung. Ich wende mich ab, bevor sie mich fragen können, warum ich über solche Detailkenntnisse verfüge. Der Experte auf dem Bildschirm plappert immer noch vor sich hin und sagt Dinge, die ich nicht hören will.

  »Wir werden innerhalb der nächsten Minuten Neuigkeiten über Kronprinz Henrys Zustand erhalten …«

  Ich erstarre zur Salzsäule und kann kaum noch atmen. Sofort sende ich ein Gebet an jeden, der mich erhören mag, um den Cousin zu retten, dem ich nie begegnet bin.

  Bitte überlebe, Henry.

  Du musst überleben.

  Du musst regieren.

  Ein feierliches Schweigen legt sich einmal mehr über das Hennessy’s – die unscheinbare kleine Spelunke um die Ecke des Campus, in der wir uns herumtreiben, wenn wir nicht gerade Vorlesung haben und Owen nicht auf der Arbeit festhängt. An einem Freitagabend herrscht hier normalerweise wildes Treiben. Nun ist es unheimlich still, und selbst die betrunkensten Gäste scheinen den Atem anzuhalten.

  Owen legt eine Hand auf meine Hüfte – sie ist schwer und warm, und er zieht mich damit an sich heran. Es ist eine vertraute Berührung. Unter normalen Umständen würde sie dazu führen, dass ich die Augenbrauen hochziehe. Aber diese Umstände sind alles andere als normal. Ich kann lediglich einen Augenblick darauf verwenden, mich zu fragen, ob mein bester Freund die unausgesprochene Grenze überschreitet, die schon so lange besteht, wie ich mich erinnern kann, den
n die Nachrichtensprecherin ergreift wieder das Wort. Ihre Stimme durchschneidet die Luft mit neuem Entsetzen.

  »Auch wenn wir immer noch auf eine offizielle Bestätigung warten, hören wir mittlerweile von Berichten, die besagen, dass Kronprinz Henry lebt, aber bewusstlos ist. Er befindet sich auf der Intensivstation, und sein Zustand wird als kritisch bezeichnet. Er hat Verbrennungen dritten Grades, eine Rauchvergiftung sowie ein schweres Schädelhirntrauma erlitten. Es ist nicht sicher, ob er die Nacht überleben wird.«

  Im Raum ist es so still, dass ich das rhythmische Tropfen eines undichten Wasserhahns hinter der Theke hören kann. Jeder Tropfen klingt in der abgestandenen Luft wie ein Schuss. Die Nachrichtensprecherin holt tief Luft und strafft ihre Schultern im gelben Blazer. Sie blickt direkt in die Kamera. Ihre braunen Augen wanken nicht, als sie eine Nachricht verkündet, die für die nächsten hundert Jahre in Dauerschleife abgespielt werden wird. Man wird sie in Geschichtsmuseen und Aufzeichnungen über nationale Ereignisse finden, bis die Welt zu Staub zerfällt.

  »Unserer Quelle im Palast zufolge … wurde vor wenigen Augenblicken Linus Lancaster, der Herzog von Hightower, offiziell als Regent vereidigt. Während man abwarten muss, ob sich Prinz Henry erholt … wird er in der Zwischenzeit die Regierungsgeschäfte übernehmen.« Ihre Stimme wird schwächer, während sie das offizielle Motto von Caerleon so leise zitiert, als wäre es ein Gebet. »Non sibi sed patriae.«

  Nicht für sich selbst, sondern für das Vaterland .

  »Gott segne König Linus«, sagt die Nachrichtensprecherin mit fester Stimme. »Möge er lange regieren.«

  »Möge er lange regieren«, wiederholen die Barbesucher um mich herum im Chor mit brüchiger Stimme, den Blick auf das Abbild ihres neuen Monarchen gerichtet. Er ist ein Mann mit dichtem dunklem Haar und kalten grünen Augen. Ein Mann, den ich mein ganzes Leben lang gemieden habe.

  Seine Majestät.

  König Linus.

  Mein Vater.

  2. KAPITEL

  Plötzlich ist mir das alles zu viel.

  Das Gedränge der Menge, das dumpfe Dröhnen des Fernsehers, das Gewicht einer ungewissen Zukunft, das schwer auf meinen Schultern lastet. Ich bekomme keine Luft mehr und kann aufgrund der in mir anschwellenden Panik nichts mehr hören.

  Owen sagt etwas zu mir. Ich kann sehen, wie sich sein Mund bewegt, aber nicht eine einzige Silbe dringt zu mir durch. Ich murmle etwas darüber, dass ich frische Luft brauche, und löse mich aus seinem Griff, um geradewegs auf den Ausgang zuzusteuern. Er ist mir dicht auf den Fersen, als wir uns einen Weg durch die Menge bahnen. Niemand scheint zu wissen, wo er hinschauen oder was er sagen soll. Sie sind alle wie gelähmt und außerstande, die Neuigkeit, dass ihr Königreich soeben zusammengebrochen ist, zu verarbeiten. Also starren sie benommen auf die Fernseher, als wären sie in einem Albtraum gefangen, aus dem sie jeden Augenblick erwachen werden.

  Der Türsteher, der am Eingang Ausweise überprüft, würdigt mich kaum eines Blickes, als ich in die kühle Oktobernacht hinausstürme. Ich mache ein paar holprige Schritte und biege um die Ecke des Ziegelsteingebäudes, wo mir eine verlassene kopfsteingepflasterte Gasse ein kleines bisschen Privatsphäre bietet .

  Ich konzentriere mich auf Dinge, die mein Verstand in all seiner Panik verarbeiten kann. Das Gefühl der kühlen Ziegel, gegen die ich meinen Rücken drücke. Die halbmondförmigen Abdrücke, die meine Fingernägel in meinen zu festen Fäusten geballten Handinnenflächen hinterlassen. Der Atem in meiner Lunge, die sich füllt und leert, leert und füllt. Ein endloses Vakuum.

  Schon im nächsten Moment spüre ich Owens Anwesenheit. Er berührt mich nicht und sagt kein Wort. Er steht einfach nur da und bietet mir stummen Trost an. So, wie er es schon immer gemacht hat, ob ich mir nun das Knie aufgeschürft oder eine Prüfung verpatzt hatte, ob es um eine misslungene Verabredung oder um ein gebrochenes Herz ging.

  Mein bester Freund.

  »Ems …«

  »Es geht mir gut«, flüstere ich erstickt. »Absolut.«

  »Aber …«

  »Nein! «

  Ich wirbele zu ihm herum, stemme die Hände in die Hüften und fixiere ihn mit einem strengen Blick. Mit meinen knapp ein Meter sechzig gebe ich wohl keine einschüchternde Figur ab – Owen überragt mich um mindestens dreißig Zentimeter –, aber meine Größe ist das geringste meiner Probleme, wenn ich äußerlich auch nur halb so elend aussehe, wie ich mich innerlich fühle. Meine gefärbten Locken fallen wie ein unordentlicher lavendelfarbener Vorhang über meine Schultern. Meine Brust hebt und senkt sich unter meinem Oberteil, das sich bei jedem meiner angestrengten Atemzüge anfühlt, als wolle es mich ersticken. Mein Minirock ist an meinen fluchtbereit angespannten Oberschenkeln nach oben gerutscht. Meine grünen Augen sind ein bisschen zu weit aufgerissen und ein bisschen zu wild, während ich damit in seine hinaufstarre .

  Mit anderen Worten: Ich bin etwa zwei Sekunden von einem totalen Zusammenbruch entfernt.

  Hier kommt der Katastrophenexpress, alle Mann einsteigen.

  Tut-tut!

  Irgendwie gelingt es Owen, mich nicht auszulachen. Tatsächlich ist seine Miene so ernst, als er mich in meinem aufgelösten Zustand betrachtet, dass ich ihn kaum wiedererkenne.

  »Ob es dir nun gefällt oder nicht, Ems … Es geht dir nicht gut«, sagt er sanft. »Und wie könnte es das auch? Das ist deine Familie.«

  »Nein, ist sie nicht«, wiederhole ich so halsstarrig wie eh und je.

  »Du magst vielleicht alle anderen in dieser Bar davon überzeugen, dass dir das hier nichts ausmacht. Verdammt, du magst sogar dich selbst davon überzeugen, wenn du es nur hart genug versuchst.« Er zieht die Augen zusammen und blickt damit unbeirrt in meine. »Aber mir kannst du nichts vormachen. Ich kenne dich zu gut.«

  »Ich will nicht mehr darüber reden, Owen«, sage ich mit belegter Stimme und frage mich, warum sich die Luft plötzlich so schwer anfühlt. »Diese Leute sind nicht meine Familie. Das sind sie nie gewesen. Das wollten sie nie sein .«

  Owen seufzt. »Ems …«

  »Warum sollte mir der Tod irgendeines Monarchen nähergehen als allen anderen in dieser Bar? Warum sollte ich um Leute trauern, die sich nie für mich interessiert haben?« Meine Stimme zittert jämmerlich, aber ich rede weiter, weil ich fest entschlossen bin, die Worte auszusprechen. Ich muss sie aus meinem Körper tilgen wie ein tödliches Gift. »Warum sollte ich um Leute trauern, die mich und meine Mom wie Abfall beiseitegeworfen haben?«

  »Ems … «

  Seine Stimme bricht auf herzzerreißende Weise. Er macht einen Schritt auf mich zu und überwindet damit den geringen Abstand zwischen uns. Er hebt vorsichtig – so unglaublich vorsichtig – eine Hand und umfasst mein Gesicht mit einer Zärtlichkeit, die mir den Atem verschlägt. Mit seinem schwieligen Daumen streicht er über meine Wange, und ich atme scharf ein, während das fremde Gefühl, das diese kleine, einfache Berührung in mir auslöst, durch mich hindurchwirbelt.

  In seinen Augen schimmern ungehemmte Gefühle, was mir selbst in der Dunkelheit nicht verborgen bleibt. »Rede nicht so. Hörst du? Du bist kein Abfall. Du bist … etwas ganz Besonderes. Wenn du sehen könntest, was ich sehe … wenn du … du … Gott , Emilia, ich …«

  Mein Herz hämmert wie wild. In seiner Stimme liegt etwas Neues. Etwas, das ich in all den Jahren, die ich ihn nun schon kenne, noch nie zuvor gehört habe. Eine Mischung aus Entschlossenheit und Verzweiflung und …

  Etwas, vor dem ich zu viel Angst habe, um es beim Namen zu nennen.

  Ich stehe wie angewurzelt da und kann lediglich zusehen, wie er sich weiter zu mir herabbeugt, wobei ihm eine blonde Locke in die Stirn fällt und er im Mondlicht wirklich gut aussieht. Ich habe keine Zeit, mich zu fragen, ob sich die Welt auf den Kopf gestellt hat, ob ich halluziniere, ob mein bester Freund vorhat, seine Lippen auf meine zu pressen und alles zwischen uns zu verändern … denn bevor er diese letzten paar Zentimeter überwinden kann – zerreißt das schrille Kreischen von Gummi auf Asphalt die Nachtluft und lässt die Realität auf uns herabstürzen. Wir machen beide einen Satz zurück und drehen ruckartig die Köpfe in Richtung des Geräuschs. Ich entdecke zwei schwarze SUV, die
auf den Bürgersteig vor dem Hennessy’s rasen .

  Instinktiv schiebt mich Owen hinter sich und schirmt mich mit seinem Körper ab, während die riesigen Fahrzeuge am Eingang der Gasse zum Stehen kommen. Ihre Scheinwerfer blenden uns so heftig, dass ich den Arm hebe, um meine Augen vor der Helligkeit abzuschirmen. Ich höre, wie sich Autotüren öffnen und schnelle, knirschende Schritte sich nähern, als Stiefel über das Kopfsteinpflaster eilen. Doch meine Augen sind so geblendet, dass ich lediglich die Umrisse der Männer ausmachen kann, die auf uns zukommen und uns den Fluchtweg versperren.

  Was.

  Zum.

  Teufel.

  Owen versucht, mich weiter in die Gasse hineinzudrängen, aber es gibt keinen Ausweg. Mein Rücken trifft auf eine Ziegelmauer, die viel zu hoch ist, um hinüberzuklettern.

  Wer auch immer diese Typen sind, sie meinen es ernst. Sie bewegen sich mit methodischer Genauigkeit – eine bestens ausgebildete Einheit. Sie geben kein einziges Wort von sich, während sie uns von allen Seiten umzingeln. Sie sind zu viert und tragen allesamt schwarze Anzüge. Mit kalten, abwägenden Augen mustern sie uns von oben bis unten, während sie gleichzeitig nach möglichen Bedrohungen Ausschau halten. Mir bleibt die Luft weg, als ich die Handfeuerwaffen sehe, die sie in den Holstern an ihren Seiten tragen.

  Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich davon überzeugt, dass sie uns tatsächlich kaltblütig ermorden und unsere Leichen zurücklassen werden, damit sie in dieser gottverlassenen Gasse wie Abfall verrotten. Doch sie machen keinerlei Anstalten, nach ihren Waffen zu greifen. Trotzdem wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, dass mein Herz nicht mit doppelter Geschwindigkeit in meiner Brust hämmert. Äußerlich wirkt Owen dank seiner gestrafften Schultern gefasst, aber durch den dünnen Stoff seines T-Shirts kann ich spüren, wie hektisch er atmet.

  Er hat ebenfalls Angst.

  Ich spähe um seine Schulter herum und versuche, einen besseren Blick auf die Männer zu erhaschen. Weder weisen sie sich uns gegenüber aus, noch liefern sie eine Erklärung für ihr plötzliches Auftauchen. So gern ich auch das Gegenteil glauben würde, weiß ich tief in meinem Inneren, dass sie nicht wegen Owen hier sind.