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Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 2


  »Du hast geschrien.«

  Ich beiße mir auf die Lippe.

  »Das hörte sich nicht nach leisem Kummer an so wie sonst immer. Es klang eher, als …« Er atmet geräuschvoll aus. »Als würde dich jemand verletzen.«

  »Ich …« Ich verstumme und schlucke heftig. Ich kann ihm nicht widersprechen. Er hat recht. Ich kann immer noch spüren, wie rau meine Kehle von meinem anhaltenden Jammern ist.

  Ich hebe zum ersten Mal den Blick, um ihm in die Augen zu schauen. Sofort bemerke ich, wie erschöpft er aussieht. Das ist nicht das Ergebnis einer schlaflosen Nacht, sondern vieler . Die dunklen Ringe unter seinen Augen passen perfekt zu meinen. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die in den letzten paar Wochen durch meine Albträume wach gehalten wurde. Scham regt sich in mir.

  »Carter, es … es tut mir leid …«

  Er räuspert sich lautstark. »Deine Albträume. Sie werden schlimmer.«

  Ich nicke.

  »Wovon handelte dieser?«

  »Von dem, wovon sie immer handeln.«

  Er zieht die Augenbrauen hoch.

  »Von der Krönung. Ich habe … das alles noch mal durchlebt. Der Champagner. Das Blut. Linus …«

  Er sieht mich an, sagt aber nichts, also fahre ich fort.

  »In dem Traum stirbt er in meinen Armen. Jedes Mal. Ich verstehe nicht, warum ich träume, dass er tot ist. Die Ärzte haben ihn gerettet. Er lebt . Ich weiß, dass er lebt. Aber wann immer ich meine verdammten Augen schließe …« Ich schüttle den Kopf und kämpfe gegen die Tränen an. »Ich denke, dass etwas mit mir nicht stimmt. Vielleicht werde ich verrückt.«

  »Hey . Schau mich an.«

  Ich komme seiner Aufforderung nach.

  »Mit dir ist alles in Ordnung.« Er hat den Blick fest auf mich gerichtet. »Es liegt an diesem verdammten Ort – an dieser ganzen verdammten Welt – die ist verrückt. Nicht du.«

  Ist Carter Thorne gerade wirklich freundlich zu mir?

  Freundlichkeit von ihm ist so eine Seltenheit. Es genügt, um mein Herz kurz aussetzen zu lassen.

  Ich beiße mir auf die Unterlippe, um die Worte zurückzuhalten, vor denen ich Angst habe, sie auszusprechen. Ich würde mich liebend gern in seine Arme werfen, um an seiner starken, festen Brust Trost zu finden und seine beruhigende Wärme aufzusaugen, bis die Schatten aus meinem Verstand verschwunden sind.

  Aber das kann ich unmöglich tun.

  Falls er das plötzliche Verlangen in meinen Augen sieht, kommentiert Carter es nicht. Aber er spannt den Kiefer noch fester an und krallt die starken Hände in den dicken Stoff meiner Bettdecke, so als würde er um Beherrschung ringen.

  »Du solltest vermutlich gehen«, zwinge ich mich zu sagen und hasse jede verlogene Silbe.

  »Stimmt . Wir wollen ja nicht, dass das Schlosspersonal einen falschen Eindruck bekommt und sich fragt, was ich mitten in der Nacht in deinem Schlafgemach mache.«

  Sein plötzlich so aggressiver Tonfall sorgt dafür, dass ich zurückzucke. »Carter, du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe …«

  »Mach dir deswegen keine Gedanken.« Mit ein paar großen wütenden Schritten hat er sich bereits von mir entfernt. »Beim nächsten Mal lasse ich dich einfach schreien.«

  Meine Tür schlägt laut genug zu, um die Gemälde an den Wänden wackeln zu lassen. Und wieder einmal bleibe ich allein in der Dunkelheit zurück, wo mir nur meine Albträume Gesellschaft leisten.

  2. KAPITEL

  Ich umfasse die runde, mit harten Borsten versehene Bürste fester und ziehe den Riemen straff, damit er besser auf meinem Handrücken sitzt. Die Stute wiehert leise, während ich meine rhythmischen Striegelbewegungen fortsetze und ihre Flanken bürste, bis ihr Fell in den Strahlen der frühen Morgensonne, die in den Stall fallen, wie Karamell schimmert.

  »Braves Mädchen, Ginger«, gurre ich und halte ihr die flache behandschuhte Hand hin, um ihr ein Stück Würfelzucker anzubieten. Es verschwindet in Sekundenschnelle zwischen ihren samtigen Lippen.

  Ich summe vor mich hin, während ich die Bürsten in dem dafür vorgesehenen Schrank verstaue. Als ich zurückkehre, um die Führungsschnur von Gingers Halfter loszubinden, stößt sie auf der Suche nach weiteren Leckerchen auffordernd mit ihrer Schnauze gegen meinen Kopf.

  »Tut mir leid … das war mein letzter. Morgen nach unserem Ausritt gebe ich dir noch mehr. Wie klingt das? Hm?«

  Gingers leises Wiehern entlockt mir ein Lächeln.

  »Wer ist mein braves Mädchen?«

  »Dir ist schon klar, dass sie dir nicht antworten wird, oder?«

  Die Stimme erschreckt mich. Ich wirbele herum und entdecke eine schlanke rothaarige Frau, die an der Stalltür lehnt und extrem herausgeputzt ist. Sie trägt ein glitzerndes schwarzes Kleid, einen maßgeschneiderten Caban und Schuhe mit himmelhohen Absätzen. Ihr Haar ist ein wenig zerzaust, von ihrem Lippenstift ist keine Spur mehr zu sehen, und unter ihren Augen prangen verschmierte Kajalreste. Trotzdem sieht sie absolut glamourös aus.

  »Chloe! Was machst du hier?«

  »Darf ich nicht mal meine Stiefschwester besuchen, ohne Hintergedanken zu haben?«

  »Doch.« Ich lege den Kopf schief und mustere sie. »Ich bin nur überrascht, dich so früh auf den Beinen zu sehen.«

  »Ich bin noch gar nicht im Bett gewesen, falls du es genau wissen willst.« Sie lacht, und ihre weißen Zähne blitzen strahlend auf. »Ich wusste, dass du nach deinem morgendlichen Ausritt hier draußen sein würdest – ich dachte mir, dass ich mal vorbeischaue und Hallo sage, bevor ich mich aufs Ohr haue.«

  »Oh. Tja. Hallo .« Ich wende mich wieder Ginger zu, um ihr das Halfter abzunehmen. Ich streichle ein letztes Mal ihre Nüstern, flüstere ihr ein paar Abschiedsworte zu, verlasse die Box und schiebe hinter mir den Riegel des Tors zu. Ich kann spüren, wie mich Chloe beobachtet, während ich meine kniehohen Reitstiefel gegen eine nahe gelegene Wand schlage, um Klumpen aus Dreck und Mist aus dem Profil der Sohlen zu lösen. Als ich aufschaue, stelle ich fest, dass sie angewidert die Nase rümpft.

  »Haben wir hier keine Stallburschen, die sich um so was kümmern?«

  Ich zucke mit den Schultern. »Mir macht es nichts aus, das selbst zu erledigen.«

  »Ihre Königliche Hoheit Kronprinzessin Emilia, Thronfolgerin von Caerleon und offizielle Ausmisterin der Palaststallungen. Möge sie die Zügel lange in der Hand halten.« Sie grinst angesichts ihres Wortspiels.

  Ich schnaube und gehe neben ihr her. Als wir durch die Türen nach draußen treten, winke ich den Stallarbeitern – zwei Jungs im späten Teenageralter mit roten Wangen und adretten marineblauen Uniformen – zum Abschied zu. Sie laufen knallrot an und verbeugen sich tief.

  Gott, ich wünschte, sie würden das lassen.

  Mit einer Garnison diskreter Wachen im Schlepptau überqueren Chloe und ich schweigend das Palastgelände und betrachten die eisige Schönheit der Natur um uns herum. Es ist frostig – der halbe November ist bereits vergangen und mit ihm jeglicher noch verbliebener Rest warmen Wetters. Die einst so üppigen immergrünen Gewächse sind jetzt mit Frost bedeckt. Der gefrorene Kiesweg knirscht unter unseren Sohlen. Schneeflocken rieseln langsam vom bedeckten Himmel herab, der in seiner Dunkelheit den ersten heftigen Schneefall des nahenden Winters verspricht.

  Wenn hoher Schnee liegt, werde ich traurig sein, denn das wird das Ende meiner morgendlichen Ausritte bedeuten. In den letzten paar Wochen sind meine Reitstunden mit Hans – dem mürrischen, griesgrämigen Stallmeister, der schon länger im Waterford-Palast arbeitet, als ich auf der Welt bin – die einzige Ablenkung von der unfassbaren Langeweile gewesen, die mein Zwangsaufenthalt im Schloss mit sich bringt. Ich fürchte, dass ich ohne ein Hobby, mit dem ich mich beschäftigen kann, womöglich komplett den Verstand verlieren werde.

  Falls das nicht bereits passiert ist.

  Chloe ist ungewöhnlich still. Normalerweise redet sie ununterbrochen und gibt urkomische Anekdoten und unkonventionelle Lebensratschläge zum Besten. Vielleicht hat sie nach all den Wochen, in denen sie vergeblich versucht hat, sich mit mir zu unterhalten, und immer nur einsilbige Antworten erhalten hat, darüber hinaus noch meine melancholische Stimmu
ng ertragen musste, endlich die Nase voll davon.

  Ich kann es ihr nicht verübeln – ich bin die Erste, die zugeben wird, dass ich in letzter Zeit nicht gerade ein Ausbund an Heiterkeit gewesen bin. Wegen des Schlafmangels und der Sicherheitsleute, die mich rund um die Uhr überwachen, bin ich schlechter gelaunt als eine Goldgräberin, die dabei erwischt wird, wie sie gegen ihren Ehevertrag verstößt.

  Wir haben fast das Schloss erreicht, als ich das angespannte Schweigen durchbreche. Dabei tue ich mein Bestes, um nicht neidisch zu klingen. Allein die Tatsache, dass Chloe diesen Ort verlassen darf – wenn auch nur mit einem muskelbepackten Mitglied der Königsgarde im Schlepptau –, reicht beinahe aus, um bei mir einen kindischen Wutanfall auszulösen.

  »Also, wo bist du gestern Nacht gewesen?«

  »Irgendein angesagter neuer Designer hatte eine Modenschau in Lund. Das waren die hässlichsten Kleider, die ich je gesehen habe – ein Model stolzierte tatsächlich in etwas über den Laufsteg, das als Müllsack hätte durchgehen können.« Sie stößt mit ihrer Schulter gegen meine. »Du hättest es gehasst.«

  »Mmm.«

  »Hey.« Sie bleibt neben einem Springbrunnen ohne Wasser stehen. Die steinerne Meerjungfrau in seiner Mitte wirkt in dem trüben grauen Licht besonders leblos. »Ich weiß, dass das ätzend ist, okay? Ich weiß, dass es nicht fair ist, dass du …«

  »Hier eingesperrt bist wie eine verdammte Gefangene?«

  »Vorübergehend eingesperrt. Sobald sie denjenigen erwischen, der hinter den Anschlägen steckt …«

  »Ja, ja. Das habe ich alles schon oft genug gehört.« Ich werfe frustriert die Hände in die Luft. »Sie werden die Bösen dingfest machen, und ich werde frei sein! Die Wachen werden total entspannt sein, wenn ich einfach so das Schloss verlasse und meine Abende draußen in der Stadt verbringe wie eine normale Frau im Alter von zwanzig!«

  »Beinahe einundzwanzig.« Ihre Lippen zucken. »Dein Geburtstag ist doch schon in ein paar Wochen.«

  »Toll! Viel Spaß dabei, ihn ohne mich zu feiern. Ich werde ganz allein hier sein, und nur die Pferde werden mir Gesellschaft leisten.«

  »Jetzt übertreibst du aber ein bisschen.«

  »Tja, die Geduld ist mir wohl gerade abhandengekommen. In letzter Zeit kann ich ja nicht mal mehr pinkeln , ohne dass jemand vor der Tür wartet, falls ich Hilfe oder Schutz vor Meuchelmördern brauche. Ich schwöre, wenn ich es zuließe, würden sie mich in Luftpolsterfolie wickeln und mit sich herumtragen, damit ich nicht versehentlich gegen irgendetwas stoße. Wenn ich das noch länger ertragen muss, werde ich irgendwann beten , dass mich ein hinterhältiger Auftragsmörder von meinem Elend erlöst.«

  Chloe versucht, ein Kichern zu unterdrücken, doch vergeblich.

  Mit einem bitteren Schnauben, das sich in der kalten Luft in ein Wölkchen verwandelt, deute ich auf den verlassenen Hof. »Lach du nur, aber das ist mein voller Ernst. Jetzt gerade haben sich vier Wachen an unsere Fersen geheftet – hier , im gottverdammten Schlossgarten! Wenn du glaubst, dass es mir je wieder erlaubt sein wird, ohne eine komplette Armee im Schlepptau nach draußen zu gehen, musst du immer noch high sein.«

  »Ich habe auf dem Heimweg tatsächlich meine spezielle E-Zigarette geraucht …«

  »Ist für dich eigentlich alles nur ein Spaß?«

  »Nein. Ist es nicht.« Ihr Lachen verstummt, und zwischen ihren Augen erscheint eine besorgte Falte. »Aber das ist das erste Mal, dass du mir gegenüber tatsächlich mal deinen Frust rausgelassen hast. Woher hätte ich wissen sollen, dass du hier fast durchdrehst? Auch wenn ich über eine gute Intuition verfüge, kann ich trotzdem keine Gedanken lesen. Und wann immer ich im vergangenen Monat versucht habe, mit dir zu reden, hast du …«

  »Was?«

  »Hast du mich abgewiesen.«

  »Das stimmt nicht«, widerspreche ich, obwohl eine nagende Stimme in meinem Hinterkopf der Meinung ist, dass sie vielleicht, aber auch nur vielleicht, recht haben könnte.

  »Hör zu, E., ich verstehe das. Du hast Schreckliches durchgemacht. Man hat dir den Boden unter den Füßen weggezogen, nachdem du endlich das Gefühl hattest, einen sicheren Stand gefunden zu haben. Ich verstehe das.« Chloe zuckt mit den Schultern. »Ich will nicht aufdringlich sein. Ich werde mich dir nicht aufdrängen, wenn du Abstand oder Zeit brauchst, um das, was bei der Krönung passiert ist, zu verarbeiten. Ich werde hier sein, wann immer du bereit bist, mich wieder in dein Leben zu lassen. Aber … du kannst nicht von mir erwarten, dass ich verstehe, was in deinem Kopf vorgeht, wenn du dich mir gegenüber nicht öffnest.«

  Mein Magen verkrampft sich vor lauter Schuldgefühlen.

  Sie macht einen Schritt auf mich zu und ergreift meine Hand. »Du beschwerst dich, dass du hier allein bist und dir nur die Pferde Gesellschaft leisten. Ich glaube, dass dir nicht mal bewusst ist, dass deine Isolation selbst verschuldet ist.«

  »Ich bin in einem Schloss eingesperrt! Die Königsgarde lässt mich das Anwesen nicht verlassen! Das ist keine ›selbstverschuldete Isolation‹, Chloe. Das ist Freiheitsberaubung Daran ist nichts selbst verschuldet.«

  »Ich meine nicht, dass du körperlich isoliert bist. Ich meine emotional .«

  Sie seufzt. »Den letzten Monat über hast du diese … diese Mauer um dich herum aufrechterhalten. Es ist so, als würdest du dich von allen zurückziehen. Und so sehr ich es auch versuche, ich kann einfach nicht zu dir durchdringen.«

  »Und wenn schon.«

  »Siehst du! Diese Einstellung ist genau das, was ich meine. Du warst schon immer kess, aber jetzt …«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Nur zu, lass dich bloß nicht aufhalten.«

  »Bist du einfach nur zynisch und sarkastisch.«

  »Das tut mir jetzt echt leid, mir war nicht klar, dass du von mir erwartest, ein ständiger Regenbogen an positiver Einstellung zu sein!« Ich reiße meine Hand aus ihrem Griff. »Ich sollte mir wohl mal ein Beispiel an dir nehmen und die ganze Zeit über high sein, um keine echten Gefühle mehr haben zu müssen! Um überhaupt nichts mehr fühlen zu müssen.«

  Sie zuckt zusammen, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst. Ich zucke ebenfalls zusammen, denn die Worte, die gerade aus meinem Mund gekommen sind, erschrecken mich. Je länger sie in der Luft zwischen uns hängen, desto mehr will ich sie zurücknehmen.

  Wann bist du gegenüber Menschen, die dir wichtig sind, zu so einer Zicke geworden, Emilia?

  »Chloe«, sage ich, und meine Wut ist schlagartig verraucht. »Ich … Ich wollte nicht …«

  »Ich fühle mich manchmal auch einsam, weißt du?« Ihre Stimme klingt verletzlicher, als ich sie je gehört habe – sie hat nichts mehr von ihrer typischen Unbeschwertheit. »Es mag deiner Aufmerksamkeit entgangen sein, aber ich habe hier auch nicht besonders viele Verbündete.«

  Plötzlich brennen meine Augen.

  Verdammt.

  Sie hat recht. Mit allem.

  Ich bin schnippisch gewesen. Ich habe sie abgewiesen. Denn die Wahrheit ist, dass sich an jenem Abend – an jenem entsetzlichen Abend, an dem Linus in meinen Armen im Sterben lag – etwas in mir verändert hat. Diese tödliche Wunde in meinem Herzen, die nach dem Tod meiner Mutter vor zwei Jahren kaum geheilt war, riss erneut auf. Und das führte dazu, dass die Vorstellung, jemanden zu verlieren, die Vorstellung, diese Art der Trauer erneut durchmachen zu müssen …

  Einfach zu heftig war, um auch nur darüber nachzudenken.

  Also wappnete ich mich dagegen. Ich errichtete um mich herum Mauern, die hoch genug waren, um jeden auf Abstand zu halten.

  Niemand kann einem das Herz brechen, wenn man niemanden an sich heranlässt.

  Wie kalt mir diese Strategie bei genauerer Betrachtung erscheint, nun, da mich eine Frau, die sich als meine Schwester bezeichnet, mit der Wahrheit konfrontiert. Wenn meine Mom noch leben würde, würde sie mir für dieses egoistische Verhalten ordentlich den Kopf waschen. Allein bei dem Gedanken verkrampft sich mein Herz vor Bedauern und Reue.

  »Chloe …« Ich schlucke schwer, um den Klumpen aus Emotionen loszuwerden, der meine Luftröhre blockiert. »Es tut mir so leid. Wirklich. Das klingt jetzt dumm, aber … Ich schätze, dass ich irgendwie versucht
habe, mich zu schützen, indem ich mich von allen anderen Menschen fernhielt. Mir war nicht klar, dass ich dich dadurch verletzt habe.«

  »Ich verstehe das, E. Wirklich. Du hast in den vergangenen Monaten ein paar wirklich heftige Veränderungen durchmachen müssen. Da braucht man ein wenig Zeit, um mit alldem zurechtzukommen.«

  »Trotzdem … Ich wollte dir auf keinen Fall das Gefühl geben, dass du allein bist oder mir nichts bedeutest. Denn nichts liegt mir ferner als das.« Ich blinzle krampfhaft, um gegen das verräterische Brennen in meinen Augen anzukämpfen. »Dich in meinem Leben zu haben bedeutet mir wirklich viel. Es tut mir leid, wenn ich dir das in letzter Zeit nicht gezeigt habe. Von jetzt an werde ich mich bessern.«

  »Ein Regenbogen der positiven Einstellung?«

  Ich verziehe die Lippen zu einem Schmunzeln. »Ich weiß nicht, ob ich dir einen kompletten Regenbogen bieten kann. Wie wäre es mit … einem graustufigen Lichtspektrum an nicht mehr ganz so zynischem Sarkasmus?«

  »Gebongt!«

  Ihre Augen funkeln belustigt, als sie mir ein versöhnliches Lächeln anbietet, das ich bereitwillig erwidere.

  »Ich würde dich ja umarmen, aber …« Sie beäugt mich von oben bis unten und mustert meine staubige Reitkleidung sowie die schlammverkrusteten Stiefel. »Du bist irgendwie schmuddelig.«

  »Wow. Danke .«

  »Wofür sind Schwestern denn da? Irgendjemand muss dir schließlich die unbequemen Wahrheiten um die Ohren hauen, wenn es sonst schon niemand tut. Und jetzt komm. Hier draußen ist es verflucht kalt, und ich habe seit vierundzwanzig Stunden kein Auge mehr zugetan. Mein Rausch hat sich offiziell verflüchtigt.«

  Ich verdrehe die Augen, während sie mich zu einem Seiteneingang des Palasts führt, aber ich kann mir das Lächeln nicht verkneifen. Zum ersten Mal seit Wochen habe ich das Gefühl, saubere Luft eingeatmet zu haben.

  Unsere Wege trennen sich, als wir an Chloes Suite im Nordflügel angekommen sind. Sie gähnt ausgiebig und schließt die Tür hinter sich. Ich gehe weiter durch den Flur zu meinem eigenen Schlafgemach. Dabei komme ich an Carters Zimmer vorbei. Ich spitze die Ohren, um herauszufinden, ob sich hinter seiner Wand irgendetwas tut, schelte mich aber sofort dafür, dass ich lausche.