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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 7


  Octavia tut so, als hätte sie kein einziges Wort gehört und greift wieder nach ihrer Teetasse. Dann mustert sie mich einmal mehr von Kopf bis Fuß – meine Brust, die sich hektisch hebt und senkt, meine Hände, die ich in die Hüften gestemmt habe, meinen wütenden Blick – und trinkt mit einem grazilen Schniefen einen weiteren Schluck Tee – und zwar so langsam, dass ich beinahe ausraste .

  Oh Mann!

  Ich mache einen drohenden Schritt auf sie zu, bleibe aber ruckartig stehen, als sich eine warme Männerhand fest auf meine Schulter legt. Carter. Er presst die Finger auf meine nackte Haut, aber ich bin mir nicht sicher, ob er mir nach meinem Ausbruch Trost spenden oder mich warnen will, damit ich nicht noch ausfallender werde.

  »Ihr zwei seid wirklich ein äußerst melodramatisches Paar, nicht wahr?« Octavia legt hochmütig den Kopf schief. »Tun Sie sich keinen Zwang an und erzählen Sie uns, wer Sie sind und warum Sie hier sind.« Als ich nicht reagiere, zuckt ihr Blick zu ihrem Pressesprecher. »Gerald! Wer ist diese Frau? Warum ist sie hier und nimmt an unserem privaten Familiengespräch teil?«

  Simms’ Doppelkinn schwabbelt nervös. »Euer Gnaden … Sie ist … Nun ja …«

  »Spucken Sie es aus, Gerald.«

  Simms ist knallrot angelaufen. »Sie ist … Sie ist …«

  »Sie ist meine Tochter«, sagt eine tiefe, heisere Stimme von der Tür aus.

  Octavias Teetasse kracht scheppernd auf den Teppich.

  Carter nimmt die Hand von meiner Schulter.

  Simms gibt einen gequälten Laut von sich.

  Und ich … Tja, ich tue absolut gar nichts. Ich kann nicht. Ich bin vor Schreck, Angst und Wut wie gelähmt.

  Nicht jetzt.

  Nicht er.

  Ich bin nicht bereit dafür.

  Ich werde niemals bereit dafür sein.

  Ich will davonlaufen. Mich verstecken. In die Nacht hinausfliehen. Aber … habe ich Carter nicht gerade eben erst mitgeteilt, dass ich vor niemandem weglaufe? Habe ich nicht ge rade noch darauf beharrt, dass ich nicht abhauen würde, wenn es ernst wird?

  Außerdem: Selbst wenn ich jemand wäre, der sich aus dem Staub macht … weiß ich tief im Inneren, dass ich es jetzt einfach nicht kann.

  Nicht vor dem hier.

  Du kannst nicht vor dem Blut davonlaufen, das durch deine Adern fließt.

  Das Herz klopft mir bis zum Hals, doch ich zwinge mich dazu, mich in Richtung Tür herumzudrehen. Ich hebe den ängstlichen Blick zu dem Mann, der dort steht. Sein dichtes, von Grau durchzogenes dunkles Haar ist ein ganz klein wenig gewellt. Seine Haut ist von der Sonne und dem Alter verwittert. In seinen tiefgrünen Augen liegt weder Wärme noch Anerkennung.

  Warum auch?

  Wir sind uns nie begegnet. Wir bedeuten einander nichts.

  Er wollte uns nicht, Emilia , flüstert die Stimme meiner Mutter in meiner Erinnerung. Er wollte dich nicht.

  Eine ganze Minute lang herrscht in dem Salon vollkommene Stille. Ich glaube, dass niemand zu atmen wagt – weder Carter noch seine Mutter noch Simms noch die drei Anzugträger, die den Mann beschützend flankieren, der die gleichen DNA-Stränge hat wie ich. Und am allerwenigsten ich.

  Linus macht zwei Schritte ins Zimmer hinein. Sein abschätzender Blick wankt nicht, als er mich betrachtet – mein lilafarbenes Haar, meine eng anliegende Kleidung, meine entblößten Beine, meine dreiste Miene.

  Falls ihn meine Erscheinung schockiert, lässt er es sich nicht anmerken. Nicht dass es mich kümmern würde, wenn er etwas an mir auszusetzen hätte. Ich warte schon lange nicht mehr auf seine Anerkennung. Das habe ich etwa zu dem Zeitpunkt aufgegeben, als ich aufhörte, mit Puppen zu spielen und mich zu verkleiden.

  Ich recke das Kinn höher, damit er weiß, dass er mich nicht einschüchtert. Vielleicht erwartet man von mir, dass ich demütig den Kopf senke, vielleicht erwartet man von mir, dass ich mich respektvoll verhalte – immerhin ist er der neue König –, aber ich kann mich nicht dazu durchringen, dem Mann, der mich und meine Mom wegwarf wie das Kondom, das er in der Nacht meiner Empfängnis hätte tragen sollen, auch nur einen Deut Respekt entgegenzubringen.

  Bastard.

  Oh, Moment. Nein. Ich bin der Bastard.

  Er lässt den Blick seiner grünen Augen durchs Zimmer wandern, um nacheinander jeden Anwesenden anzusehen. Dann verkündet er mit einer Stimme, in der königliche Befehlsgewalt mitschwingt, die Worte, die mein ganzes Leben verändern.

  »Ihr Name ist Emilia Victoria Lancaster. Sie ist meine Tochter. Und nach aktuellem Stand der Dinge … ist sie die nächste Anwärterin auf den Thron. Ihre Abstammung macht sie zur rechtmäßigen Kronprinzessin von Caerleon.«

  6. KAPITEL

  »Nein«, flüstere ich und weiche angesichts seiner Worte zurück.

  Ich pralle direkt gegen Carters Brust. Ich muss meine ganze Kraft aufbringen, um mich nicht gegen ihn zu lehnen. Um nicht zuzulassen, dass er das Gewicht meiner weichen Knochen stützt, nun, da meine Knie nachgeben wollen. Das Zimmer kippt um mich herum zur Seite, während die Worte durch meinen Kopf wirbeln.

  Die nächste Anwärterin auf den Thron.

  Kronprinzessin von Caerleon.

  Er muss verrückt sein – das ist die einzige Erklärung. Ich bin auch nicht die Einzige, die das denkt.

  »Linus!« Octavia ist von ihrem Platz aufgesprungen und hat so schnell das Zimmer durchquert, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie nicht möglicherweise über Teleportationsfähigkeiten verfügt. »Sag mir, dass das nicht wahr ist.«

  »Ich fürchte, das kann ich nicht«, erwidert Linus, der mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen lässt.

  Gott, er sieht aus wie ich. Oder vermutlich sehe ich eher aus wie er . Und ich hasse das. Ich hasse es so sehr, dass ich jeden Spiegel auf der Welt zerschlagen, mein Gesicht umoperieren lassen und jedes Foto, das ich je von mir gemacht habe, in einem Opferfeuer verbrennen will .

  »Aber das kann nicht dein Ernst sein!« Ihr schriller Tonfall sticht in meinen Ohren wie ein Messer. »Schau sie dir an! Sie kann unmöglich …«

  Er versteift sich. »Sie ist meine Tochter, Octavia.«

  »Vielleicht sollten wir diese Angelegenheit unter vier Augen besprechen«, sagt sie betont. »Bevor irgendwelche überstürzten Entscheidungen getroffen werden …«

  »Überstürzte Entscheidungen?« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Hier passiert gar nichts überstürzt. Wenn überhaupt ist es seit zwanzig Jahren überfällig.«

  »Aber …«

  »Meine Entscheidung ist endgültig. Ich werde kein weiteres Wort mehr über das Thema verlieren.«

  Octavia presst ihre perfekt geschminkten Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Sie schaut mich an, und ich bin dankbar, dass Blicke nicht wirklich töten können, denn ansonsten wäre der makellose helle Orientteppich jetzt mit meinem Blut besudelt.

  »Eure Majestät«, mischt sich Simms mit beschwichtigendem Tonfall ein und durchbricht das angespannte Schweigen. Er deutet eine leichte Verbeugung an, um seinem König seine Ehrerbietung zu erweisen. »Wenn ich auf irgendeine Weise behilflich sein kann, lassen Sie es mich bitte wissen. Ob es nun darum geht, einen Entwurf für eine Pressemitteilung zu verfassen oder sonst wie behilflich zu sein. Ich stehe Ihnen voll und ganz zur Verfügung.«

  »Danke, Gerald. Sorgen Sie bitte dafür, dass in einem der oberen Geschosse adäquate Räumlichkeiten für Emilia bereitgestellt werden. Und besorgen Sie vielleicht auch noch angemessene Kleidung. Die Presse werden wir noch nicht unterrichten. Das tun wir erst, wenn sich Emilia …« Er schaut kurz zu mir. »Eingelebt hat. «

  Damit meint er, dass ich erst wie eine ordentlich zurechtgemachte Prinzessin aussehen soll.

  Ich muss meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht die Augen zu verdrehen.

  »Natürlich, Eure Majestät. Ich werde umgehend die persönlichen Einkäufer des Palasts kontaktieren und sie gleich morgen früh eine Auswahl an Kleidung herschicken lassen.« Simms wirft einen Blick in meine Richtung. »Ihre Größe, Miss?«

  Statt zu antworten, verschränke ich die Arme vor der Brust. Ich weigere mich, an meiner eigenen Neuerfindung mitzuwirken. Vor allem wenn besagte Neuerf
indung von mir verlangt, dass ich vor diesen Leuten, die alle aussehen, als kämen sie geradewegs von einem Laufsteg auf der Paris Fashion Week, die exakten Ausmaße meines Hinterns verkünde.

  »Sehr wohl.« Er verneigt sich erneut leicht vor Linus und macht dann kehrt, um das Zimmer zu verlassen, wobei er vor sich hin murmelt. »Dann müssen wir wohl mit Augenmaß vorlieb nehmen …«

  Wieder macht sich Stille breit. Octavia nutzt die Gelegenheit für einen letzten Appell.

  »Linus …« Sie schaut kurz zu mir. »Bist du sicher, dass sie … von dir ist? Hast du die notwendigen Tests machen lassen, um den Nachweis …«

  »Octavia.« Sein stählerner Tonfall ist schärfer als ein Breitschwert. »Diese Angelegenheit steht nicht zur Debatte.«

  »Also erwartest du von mir, dass ich … dass ich … sie einfach so in unserem Zuhause aufnehme?« Sie zieht die perfekt gewachsten Augenbrauen zusammen. »Dass ich ihr erlaube, bei uns zu leben, als wäre sie ein Teil dieser Familie?«

  »Ich würde von dir erwarten, dass du mein Kind aufnimmst, wie ich einst deine beiden Kinder aufnahm.« Linus schaut zu Carter, der ein paar Schritte links von mir herumlungert, und dann wieder zu mir. »Ich entschuldige mich, Emilia, das Ganze muss dich furchtbar verwirren. Gestatte mir, dass ich dich ganz offiziell meiner Familie vorstelle. Dies ist meine Frau, Octavia Thorne.«

  »Ist mir ein Vergnügen«, lügt die Rothaarige schwach. Ihr Lächeln ist ebenso zahn- wie freudlos.

  Ich erstarre.

  Seine Frau.

  Thorne.

  Aber das bedeutet …

  Als ich kein Wort sage, fährt Linus hastig fort. »Und ich glaube, dass du meinen Stiefsohn Carter bereits kennengelernt hast.« Er deutet links neben mich. »Ich schätze, er ist nun dein Stiefbruder.«

  Mein Stiefbruder.

  Ich versuche zu nicken, aber es gelingt mir nicht. Ich bin wie gelähmt. Carter scheint es ähnlich zu gehen, allerdings wage ich es nicht, in seine Richtung zu schauen, um diese Annahme zu bestätigen.

  »Die Wachen haben mich darüber informiert, dass ihr beide in Vasgaard wart, als die Notfallmaßnahmen in Kraft traten.« Linus räuspert sich leise. »Ich hoffe, dass ihr während der Fahrt hierher die Gelegenheit hattet, euch ein wenig miteinander vertraut zu machen.«

  Oh, wir haben uns durchaus miteinander vertraut gemacht.

  Ich drehe den Kopf langsam nach links, und Grauen durchtränkt jedes Blutgefäß in meinem Körper. Mein Blick verfängt sich in Carters, sobald ich aufschaue. Er ist auf der Hut wie immer – eine verschlossene Schachtel voller Emotionen. Den einzigen Hinweis darauf, dass er überhaupt etwas empfindet, liefern das angespannte rhythmische Zucken seines verkrampften Kiefers und seine Hände, die er an den Seiten seines Körpers zu festen Fäusten geballt hat.

  Heftiges Entsetzen durchströmt mich, als ich mich daran erinnere, wie es sich anfühlte, diese Hände vor gar nicht allzu langer Zeit auf dem dunklen Rücksitz eines SUV auf meiner Haut zu spüren. Ich erinnere mich an die stummen Funken der Lust in der Luft. An das schmerzhafte Verlangen zwischen meinen Beinen. An dieses unkontrollierbare Gefühl in meinem Inneren, so als könnte ich auf den Befehl eines vollkommen Fremden hin komplett den Verstand verlieren. Wegen dieser Hände …

  Meines neuen Stiefbruders?

  Übelkeit macht sich in meinem Magen breit, und es erfordert meine ganze Willenskraft, mich nicht auf den Teppich unter meinen Füßen zu übergeben. Ich breche den Blickkontakt mit ihm ab, denn ich bin nicht in der Lage, das auch nur eine Sekunde länger zu ertragen. Ich habe noch nie unter Klaustrophobie gelitten, aber plötzlich kommt es mir so vor, als würde die ganze Welt um mich herum einstürzen und mich unter sich begraben.

  Ich muss hier raus.

  Ich muss hier weg.

  Zurück in mein Leben.

  Zurück in die Realität.

  Octavia und Linus haben angefangen, sich gegenseitig anzukeifen, aber ihre Worte haben für mich keine wirkliche Bedeutung.

  »Was würdest du denn stattdessen vorschlagen, Octavia?« Linus seufzt erschöpft. »Ich bin zu alt, um Kinder zu zeugen, und du bist zu alt, um sie auszutragen.«

  »Es gibt andere Möglichkeiten!« Ihre Stimme ist beharrlich. »Eine Leihmutter oder … «

  »Nein . Wenn sich Henry nicht erholt, ist die Nachfolge eindeutig. Emilia ist die designierte Thronerbin.«

  Ich schüttle den Kopf, um diese Worte abzulehnen, aber er schaut mich nicht mal an, während er meine gesamte Zukunft plant – egal, ob ich Teil seiner großartigen Pläne sein will oder nicht.

  »Die Leute werden sich nach dem heutigen Abend auf der Suche nach Kraft und Zuversicht an die Krone wenden. Wir können es uns nicht leisten, aufgrund des erlittenen Verlustes angeschlagen zu wirken. Wir müssen ihnen etwas geben, woran sie sich festhalten können. Eine neue Monarchin, der sie ihre Unterstützung zukommen lassen können.« Er nickt vor sich hin und blickt dabei ins Leere. »Sie werden sich hinter sie stellen. Die Lancaster-Linie wird in den Augen der Welt wiederhergestellt sein.«

  »Linus, ich verstehe das, aber sie ist …« Octavia verstummt gequält. »Dieses Mädchen ist …«

  Ich ziehe eine Augenbraue hoch und warte.

  Octavia wiederum setzt eine arrogante Miene auf. »Sie ist in keiner Weise dazu geeignet, Caerleon im großen Stil zu repräsentieren.«

  »Dennoch muss sie es tun«, kontert Linus. »Und falls sich Henry nicht erholt … Eines Tages, ob es dir nun gefällt oder nicht, meine Liebe … werde ich sterben, und sie wird mein Erbe antreten. Sie wird das Zepter übernehmen.«

  »Das werde ich auf gar keinen Fall«, falle ich ihm ins Wort und finde endlich meine Stimme wieder.

  Alle im Zimmer drehen den Kopf in meine Richtung. Für eine Minute sagt niemand ein Wort.

  »Was hast du gesagt?« , knurrt der König.

  »Ich habe kein Interesse an …« Ich deute vage auf meine Umgebung. »Irgendetwas hiervon. Ich will weder deinen Na men noch dein Geburtsrecht. Ich habe kein Interesse daran, eine … eine …« Ich kann mich nicht dazu durchringen, das Wort »Prinzessin« laut auszusprechen. Es ist viel zu absurd. »Eine Lancaster zu sein«, beende ich meine Ansprache lahm.

  »Dein Interesse ist irrelevant«, donnert Linus, und Wut verzerrt seine Züge. »Dies ist dein Schicksal. Deine Verantwortung.«

  »Du besitzt die Dreistigkeit, mir gegenüber von Verantwortung zu sprechen?«, bringe ich erstickt hervor. »Das ist wirklich heftig, wenn man bedenkt, dass du bis vor drei Stunden nicht die geringste Verantwortung für mich empfunden hast. Und so weit ich es beurteilen kann, tust du es auch jetzt nur, weil deiner wertvollen Monarchie plötzlich ein paar brauchbare Thronerben zu fehlen scheinen.«

  »Du hast keine Ahnung, wovon du redest.« Linus sieht aus, als würde er jeden Moment vor Wut explodieren. »Deiner Erziehung mangelte es eindeutig an Disziplin, Manieren und zuverlässigen Informationen. Keine Sorge – wir werden dafür Sorge tragen, jede Bildungslücke, für die deine Mutter verantwortlich ist, zu schließen.«

  Ich erstarre vollkommen.

  Hat er gerade wirklich gesagt, was ich denke?

  Ich lehne mich vor, um sicherzustellen, dass ich mich deutlich ausdrücke, damit er meine nächsten Worte auf gar keinen Fall als leere Drohung abtun kann. »Mir ist egal, wer du bist oder was für Titel du hast. Wenn du noch einmal meine Mutter oder ihre Erziehungsmethoden beleidigst, wirst du es bereuen – da kannst du dir sicher sein.«

  Alle drei Wachen treten vor und legen die Hände an ihre Holster. Carter rückt näher an mich heran, und in seinen Augen schimmert Sorge. Aus gutem Grund. Den König zu beleidigen ist schlimm genug … aber ihm offen zu drohen ?

  Das kommt Hochverrat gleich.

  Octavia presst eine Hand auf ihr Herz und gibt sich angesichts meiner Unverfrorenheit entsetzt. »Du wagst es, so mit dem König zu reden, Mädchen?«

  »Oh, ich wage es«, zische ich und bewege mich bereits auf die Tür zu. »Wenn wir hier dann fertig sind … würde ich mich gern wieder meinem Leben widmen.«

  »Du würdest deiner Krone den Rücken zuwenden?«, ruft mir Linus hinterher. »Deinem Land?«

  »Sow
eit es mich betrifft, kannst du dein königliches Vermächtnis nehmen und es dir sonst wohin stecken.« Damit stürme ich durch die Tür, den Flur entlang und durch die Vordertüren in die Nacht hinaus.

  Vierzig Minuten später bin ich immer noch stinksauer, aber die Wut ist einer sehr viel heftigeren Empfindung gewichen: Kälte . Zitternd reibe ich mit Fingern, die längst taub sind, über meine nackten Oberarme. Meine Knie beben in dem vergeblichen Versuch, ein wenig dringend benötigte Körperwärme zu generieren. Es ist zwecklos – ich bin beinahe unterkühlt, und jeder Zentimeter meiner Haut ist mit Gänsehaut bedeckt.

  Die Steinbank, die ich im seitlich neben dem Haus angelegten Garten entdeckte, kam mir auf den ersten Blick wie ein idealer Ort vor, weil mir nach der Szene im Salon immer noch vor Wut die Ohren qualmten. Aber jetzt, nachdem ich beinahe eine Stunde hier gesessen habe, schmerzen meine Knochen. Meine Lippen sind rissig, und jedes Mal, wenn ich die eiskalte Luft einatme, brennt meine Kehle wie Feuer. Zu allem Überfluss fängt es auch noch an zu regnen – ein stechender, speiender Niederschlag, der auf mein Gesicht pladdert und mich schnell bis auf die Knochen durchnässt .

  »Perfekt«, murmle ich vor mich hin und beobachte, wie mein Atem in kleinen Wolken vor meinem Mund kondensiert.

  Für Oktober ist es ungewöhnlich kalt, selbst so hoch in den Bergen. Mir wird klar, dass ich irgendwann wieder werde reingehen müssen – entweder das oder ich erfriere hier draußen, da mein Versuch, ein Auto anzuhalten, um mich mitnehmen zu lassen, kläglich gescheitert ist. Als ich aus dem Herrenhaus stürmte, begrüßten mich die knallharten Blicke derselben vier muskelbepackten Wachmänner, die mich vorhin geschnappt hatten – Mitglieder der königlichen Elitegarde, wie mir inzwischen klar ist. Ihre Aufgabe besteht darin, die Lancasters zu beschützen.