Forbidden Royals 02 - Golden Throne Read online




  INHALT

  Titel

  Zu diesem Buch

  Leserhinweis

  Widmung

  Caerleonische Thronfolge

  Das Geschlecht der Lancasters

  Vorwort

  Prolog

  1. Kapitel

  2. Kapitel

  3. Kapitel

  4. Kapitel

  5. Kapitel

  6. Kapitel

  7. Kapitel

  8. Kapitel

  9. Kapitel

  10. Kapitel

  11. Kapitel

  12. Kapitel

  13. Kapitel

  14. Kapitel

  15. Kapitel

  16. Kapitel

  17. Kapitel

  18. Kapitel

  19. Kapitel

  20. Kapitel

  Playlist

  Triggerwarnung

  Die Autorin

  Die Romane von Julie Johnson bei LYX

  Impressum

  Julie Johnson

  Golden Throne

  Roman

  Ins Deutsche übertragen

  von Anika Klüver

  ZU DIESEM BUCH

  Noch vor zwei Monaten war Emilia Lancaster eine ganz normale junge Frau mit alltäglichen Problemen. Nun ist sie die Kronprinzessin von Caerleon und stellt sich Herausforderungen, auf die sie kaum vorbereitet wurde. Neben zahllosen Presseterminen und glamourösen Bällen, muss sie sich auch daran gewöhnen, immer im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Und selbst im schützenden Palast kommt Emilia nicht zur Ruhe. Denn dort ist sie ständig von Intrigen und Machtspielchen umgeben: Jeder Fehltritt wird registriert und jedes Anzeichen von Schwäche ausgenutzt. Daher darf niemand jemals erfahren, was auf dem Krönungsball zwischen ihr und Carter Thorne passiert ist – und natürlich darf sich dieser Vorfall auf keinen Fall wiederholen! Allerdings fällt es Emilia immer schwerer, ihren Stiefbruder zu ignorieren, kann sie seine Anwesenheit doch überall spüren. Eine Situation, die nicht einfacher wird, als plötzlich eine ganze Handvoll Verehrer um ihre Aufmerksamkeit kämpft. Wem kann Emilia jetzt noch vertrauen?

  Liebe Leser*innen,

  dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

  Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

  Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

  Euer LYX-Verlag

  Für T. S.

  CAERLEONISCHE THRONFOLGE

  Non sibi sed patriae

  DAS GESCHLECHT DER LANCASTERS

  VORWORT

  Meine lieben Leser,

  schnappt euch eure Reisepässe, packt eure Koffer … denn eure Rückkehr in die Welt von Caerleon steht kurz bevor. Macht euch auf weitere höfische Intrigen, verbotene Stelldicheins und verhängnisvolle Affären gefasst, während Emilia versucht, sich in ihrem neuen Leben als Kronprinzessin zurechtzufinden.

  Bedenkt dabei bitte, dass Golden Throne kein eigenständiger Roman, sondern der zweite Band der Forbidden-Royals -Trilogie ist. Wenn ihr den ersten Band, Silver Crown , nicht bereits gelesen habt, dann klappt dieses Buch bitte sofort wieder zu und fangt ganz von vorne an. (Glaubt mir, ihr wollt keine einzige Minute verpassen, die ihr in der Gesellschaft des unwiderstehlichen Carter Thorne verbringen könnt, auch wenn er euch mit seinem Verhalten in den Wahnsinn treiben wird.)

  Bevor ihr euch auf die Geschichte stürzt, möchte ich euch noch eine letzte Warnung mit auf den Weg geben: Wie schon sein Vorgänger ist dieses Buch ein düsteres Märchen, das ausschließlich für Erwachsene bestimmt ist. Wenn ihr also Märchen bevorzugt, in denen nicht ausgiebig geflucht wird, keine heftigen höfischen Intrigen gesponnen werden und keinerlei Sex vorkommt, ist dieser Roman vielleicht nicht der richtige für euch.

  Non sibi sed patriae ,

  Julie

  PROLOG

  Ich starre die Frau auf dem Podest an.

  Das Gesicht eine gefasste Maske.

  Die Augen voller Geheimnisse.

  In Trauer versunken um alles, was sie verloren hat.

  Gestählt durch die Verantwortung,

  die ihr kürzlich aufgebürdet wurde.

  Sie lenkt mit Zügeln, die sie kaum halten kann.

  Sie behauptet ihre Stellung ohne das nötige Rüstzeug.

  Ein beflecktes Erbe.

  Ein glutheißer Thron.

  Die Natur des Menschen ist wankelmütig.

  Um ehrlich zu sein, habe ich nie wirklich verstanden, warum wir so funktionieren, wie wir es tun. Vielleicht habe ich deswegen so viele Jahre damit verbracht, Psychologie zu studieren. Ich habe verzweifelt versucht, die unerklärlichen Beweggründe zu durchschauen, die die Menschheit schon immer zu Krieg und Fehden und Schlachten angetrieben haben – ob nun auf schlammigen mittelalterlichen Feldern oder in Vorstandsetagen moderner Firmen.

  Unsere Machtkämpfe sind legendär. Sie wurden sowohl in Romanen als auch in Lehrbüchern festgehalten, seit zum ersten Mal Tinte auf Pergament traf. Ob es nun Brutus und Cäsar oder Aaron Burr und Alexander Hamilton sind, die Geschichte scheint sich immer wieder mit erschreckender Unvermeidbarkeit zu wiederholen.

  Dabei stellt sich mir immer wieder die Frage …

  Warum?

  Wir stehen auf diesem unbedeutenden Planeten unleugbar an der Spitze der Nahrungskette. Kein anderes Lebewesen, das sich die Atmosphäre mit uns teilt, stellt für unsere Herrschaft auch nur den Hauch einer Bedrohung dar. Also sollten wir uns sicher fühlen. Im Frieden mit der Welt. Unsere Stellung ist unangefochten, und wir müssen keine Konkurrenz fürchten. Keine Gegner, die uns in die Quere kommen können.

  Und doch … was …?

  Da wir keine natürlichen Gegenspieler haben, sind wir selbst zu unserem größten Feind geworden. Ob nun aus reiner Langeweile oder um sich selbst zu sabotieren, sind die Menschen im Lauf ihrer Entwicklung dazu übergegangen, sich gegenseitig umzubringen. Wir schieben jegliche Chance auf Eintracht beiseite und nehmen uns, was wir wollen, was auch immer das für Konsequenzen hat, was auch immer wir vernichten müssen, um unsere Ziele zu erreichen.

  Wenn wir die Wahl zwischen einem Waffenstillstand und der kriegerischen Auseinandersetzung haben … entscheiden wir uns jedes Mal für die blutigere Variante.

  Vielleicht sind wir von Natur aus egoistisch – auf molekularer Ebene darauf programmiert, die Harmonie zugunsten des Konflikts außer Acht zu lassen. Vielleicht sind unsere selbstzerstörerischen Neigungen einfach unabwendbar. Denn wer würde sich je dafür entscheiden , Streit zu haben, wenn Frieden herrschen könnte? Wer würde ein Leben wollen , in dem es nur darum geht, nach mehr zu streben, anstatt einfach mit dem zufrieden zu sein, was man bereits hat?

  Es muss in unserer DNA verankert sein – diese Neigung, ein Verlangen nach Dingen zu entwickeln, die wir nicht haben, anstatt uns einfach an dem zu freuen, was wir bereits haben. Immer das zu wollen, was wir nicht haben können – je unerreichbarer, desto verlockender.

  Wie schon gesagt: die Natur des Menschen.

  Sie ist so vorhersehbar wankelmütig.

  Wir manipulieren. Wir manövrieren. Wir schieben unsere Skrupel beiseite, unser Gewissen, unsere unbequeme Moral. Wir jagen diesen verlockenden, trügerischen Zielen nach ohne Rücksicht auf das Chaos, das wir damit unweigerlich heraufbeschwören. Wir lügen und betrügen und stehlen, so wie wir zerstören und zerbrechen und täuschen.

  Und das alles wofür?

  Für Macht .

  Die Macht zu herrschen.

  Das Schicksal einer Nation zu lenken.

  Eine Krone zu tragen.

  Auf einem Thron zu sitzen.

  Egal ob er bereits von einer unvorbereiteten jungen Frau besetzt ist, die ihn eigentlich gar nicht haben wollte …

  1. KAPITEL

  »Lang lebe König Linus!«
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  Eine Champagnerflöte aus Kristallglas schwebt vor meinem Mund. Ich kann die zarte Liebkosung des Glases an meiner Unterlippe spüren, während ich die Finger fester um den Stiel lege und die prickelnde Frische des Champagners auf meiner Zunge bereits erahne.

  »Lang lebe der König!«

  Die Jubelrufe erfüllen die Luft aus allen Richtungen, bis jeder Kronleuchter, der im Thronsaal des Waterford-Palasts hängt, rasselt wie Hagel, der auf Kopfsteinpflaster trifft. Das erstickte Ausatmen, das links von mir erklingt, ist so schwach, dass ich nicht weiß, wie ich es bei dem Lärm überhaupt hören konnte.

  Es ist so ein leises Geräusch, und doch hat es so enorme Auswirkungen.

  Ich richte meine weit aufgerissenen, entsetzten Augen auf meinen Vater, der in seinem Krönungsornat prachtvoll aussieht. Die reichverzierte Krone schimmert auf seinem von Grau durchzogenen dunklen Haar. Entsetzt beobachte ich, wie seine Wangen eine tödliche Purpurfärbung annehmen, während er mit Schaum vor dem Mund seine Lippen bewegt wie ein Fisch an Land und vergeblich nach Luft schnappt.

  Seine Champagnerflöte schlägt eine Sekunde vor ihm auf dem Podium auf und zersplittert in tausend rasiermesserscharfe Scherben, die sich rund um meine Füße verteilen. Die Scherben bohren sich in meine Haut, als ich mich auf die Plattform fallen lasse und hastig an seine Seite krabbele. Sie schneiden in meine Hände und durchdringen den Tüll meines Ballkleids wie Granatsplitter.

  Ich ignoriere das hervorquellende Blut. Dieser Schmerz ist bedeutungslos im Vergleich zu dem Schmerz in meinem Herzen, den ich empfinde, während ich die tödlichen Auswirkungen des Gifts auf Linus’ Nervensystem beobachte.

  Um mich herum herrscht ein schrecklicher Tumult. Geräusche stürmen auf meine Sinne ein, aber sie scheinen alle gedämpft und in weiter Ferne zu sein. Weit weg von meinem Platz hier oben auf dem Podest. Entsetzte Schreie, die die Luft zerreißen, Füße in hochhackigen Schuhen, die über den glänzenden Marmorfußboden eilen, Höflinge, die in Deckung gehen und die Götter anrufen, von denen sie sich Beistand erhoffen.

  Ich laufe nicht davon.

  Ich bete nicht.

  Ich halte den Blick auf das Gesicht meines Vaters gerichtet.

  Ich schaue ihm in die Augen, bis sie glasig werden und ich den Schrei, der sich in meiner Kehle aufbaut, nicht länger unterdrücken kann.

  »HILFE! BITTE, HILF UNS JEMAND!«

  Aber niemand kommt uns zu Hilfe.

  Niemand kann etwas tun.

  Weil … er tot ist.

  Der König.

  Tot.

  Bevor er auch nur die Gelegenheit erhielt, wirklich zu regieren.

  Mein Vater.

  Tot.

  Bevor ich auch nur die Gelegenheit erhielt, ihn wirklich kennenzulernen.

  Mein Blick wandert von dem von rötlichen Flecken durchzogenen Schaum in den Winkeln seines offen stehenden Munds zu den tiefen Schnittwunden in meinen Handflächen. Ich starre das Blut auf meinen Händen an, bis ich den Anblick nicht länger ertragen kann. Ich lasse den Kopf nach hinten sinken, öffne die Lippen und lasse meinem Kummer freien Lauf.

  Ich schreie, bis meine Kehle wund ist, ich schreie, bis kein Laut mehr aus meinem Mund kommt, ich schreie, bis …

  »EMILIA!«

  Jemand schüttelt mich.

  »Emilia! Emilia, wach auf. Du träumst.«

  Der Schrei bleibt mir im Hals stecken und verwandelt sich in ein Schluchzen, während ein Bild nach dem anderen durch meinen Kopf wirbelt und die Erinnerung immer noch frisch an der Oberfläche meines Unterbewusstseins brodelt.

  Linus … das Gift … das viele Blut …

  »Hey. Atme .« Zwei große Hände legen sich mit festem Griff um die nackte, schweißnasse Haut meines Oberarms, sodass ich vollständig aus dem Traum gerissen werde. »Atme einfach, Emilia.«

  Mein Atem geht so schnell, dass mir schwindelig wird. Selbst nachdem ich aus den Fängen des Traums gerissen wurde, bin ich immer noch desorientiert, so als würde mein Gehirn von Nebel umwabert. Die Gedanken drehen sich träge und zähflüssig wie Sirup in meinem Kopf.

  »D… D… Der Champagner«, bringe ich keuchend hervor und hyperventiliere immer noch. »Er war … Er war …«

  »Hör mir zu – du bist in Sicherheit. Es geht dir gut. Du bist in deinem Bett. Niemand kann dir etwas antun, Emilia. Hörst du mich? Niemand wird dir je wieder wehtun. «

  Die Stimme ist rau, aber so unglaublich vertraut. Ich konzentriere mich auf ihre tiefe Klangfarbe, und sie beruhigt mich sofort und bietet mir eine sichere Zuflucht vor den Schreckensvisionen meines eigenen Verstands. Als er einmal mehr die Hände anspannt, gelingt es mir, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen und ihn anzusehen. Sobald ich das tue, bin ich im Traktorstrahl seines blauen Blicks gefangen.

  Mein Magen vollführt einen Hüpfer.

  »Ein weiterer Albtraum«, murmelt Carter leise und starrt mich im Halbdunkel des Zimmers an. Er ist mir so nah, dass ich die winzige Narbe erkennen kann, die seine Augenbraue teilt. Außerdem sehe ich die Ringe aus dunklerem Blau, die seine Regenbogenhäute umgeben, sowie die feinen Bartstoppeln, die seinen Kiefer zu dieser späten Stunde bedecken. Sein Haar ist vom Schlaf zerzaust, und seine Brust ist nackt, so als wäre er plötzlich aufgewacht und aus dem Bett gesprungen.

  Er muss mich durch die Wand schreien gehört haben.

  Wieder einmal.

  Seit dem Abend der Krönung, an dem ein vergiftetes Glas Champagner beinahe meinen Vater getötet hätte, ist ein Monat vergangen. Tatsächlich war es so knapp, dass ich mir sicher war, dass er tot war, als ihn die Königsgarde ins nächstgelegene Krankenhaus brachte. Ich war mir sicher, dass ich den Tod eines weiteren Elternteils zu betrauern haben würde … nur dieses Mal mit einer Krone auf dem Kopf und einem Land, das regiert werden musste.

  So was nennt man wohl Multitasking.

  Jeden Tag danke ich meinem Glücksstern dafür, dass die Ärzte in der Lage waren, die Wirkung des Gifts rückgängig zu machen. So unmöglich es auch erscheinen mag, Linus lebt. Er ist schwächer und kränklicher als zuvor, das steht außer Frage … aber wie durch ein Wunder lebt er. Ganz ohne Zweifel.

  Ich wünschte nur, dass sich mein Unterbewusstsein an diese kleine Tatsache erinnern könnte. Sobald mir abends die Augen zufallen, befinde ich mich wieder auf dem Krönungspodest: Blut quillt zwischen meinen Fingern hervor, Glas zerschneidet mein umwerfendes Ballkleid, Chaos bricht aus, während der König zu Boden fällt.

  »Alles ist gut«, versichert mir Carter erneut. »Es war nur ein Traum.«

  Nur ein Traum.

  Nur ein Traum.

  Nur ein Traum.

  Nur … vier lange Wochen, in denen ich immer wieder schweißgebadet und schreiend aufgewacht bin. Ich dachte, dass es mit der Zeit nachlassen würde, nachdem Linus aus dem Krankenhaus entlassen worden war und im Schloss alles wieder seinen normalen Gang ging. Aber das ist nicht der Fall. Wenn überhaupt, ist es jetzt schlimmer als je zuvor.

  So schlimm, dass es einen Mann, der mich leidenschaftlich hasst, dazu bringt, mir zu Hilfe zu eilen …

  Während sich meine Atmung verlangsamt und meine Wahrnehmung zurückkehrt, ist mir Carters Anwesenheit neben mir im Bett nur allzu bewusst. Seine großen, schwieligen Hände an meinen Oberarmen. Der geringe Abstand zwischen unseren Gesichtern in der Dunkelheit. Der Duft seiner Haut – Seife und Bourbon und Gewürze –, der wie eine Droge über mich hinwegspült.

  Ich atme scharf ein.

  So nah sind wir uns seit Wochen nicht mehr gewesen. Seit diesem schrecklichen, wundervollen Abend im Gewächshaus, als wir eine unaussprechliche Grenze überschritten haben. Seit wir …

  Nein.

  Ich gestatte es mir nicht, über das nachzudenken, was wir getan haben. Und ich gestatte es mir ganz sicher nicht, über die Dinge nachzudenken, die ungesagt geblieben sind. Wenn ich das täte, würde ich restlos den Verstand verlieren. Sich nach etwas zu sehnen, das man nie wieder haben kann, führt nie zu etwas Gutem.

  »Tut mir leid«, flüstere ich mit brüchiger Stimme. »Ich wollte dich nicht aufwecken.«

  Er schweigt einen Augenblick lang und starrt mich einfach nur an. Ich kann seinen
durchdringenden Blick auf meiner Haut spüren wie eine Liebkosung. Herrgott , das Bedürfnis, mich an seine Brust zu lehnen und seine Wärme in mich aufzunehmen, ist so stark, dass ich unter dem Druck beinahe nachgebe.

  Nimm mich in deine Arme und halte meine zersplitterte Seele zusammen , will ich flehen. Und sei es nur für einen Moment.

  Als hätte er mein Flehen laut und deutlich vernommen, drückt Carter seine Fingerspitzen fester an meine Arme. In seinem Griff liegt ein Anflug von Inbesitznahme. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich schütteln oder an seine Brust drücken will. Verdammt, ich bezweifle, ob er es selbst so genau weiß. Er schaut mich an, als wäre ich sowohl Gift als auch Heilmittel. Erlösung und Zerstörung zugleich.

  Das Gleiche gilt für dich, Stiefbruder.

  Er spannt den Kiefer fest an. Ich beobachte, wie ein Muskel in seiner Wange rhythmisch zuckt, und weiß, dass er es ebenfalls spürt: diese nicht zu leugnende Anziehung, die uns immer wieder zueinander zieht, selbst wenn wir uns völlig uneinig sind. Selbst wenn wir einander hassen.

  Wie Magnete.

  »Emilia …«

  »Es geht mir gut«, falle ich ihm ins Wort, bevor er etwas sagen kann, das es mir schwerer machen wird, die kühle Maske der Beherrschung aufrechtzuerhalten, die ich in den letzten paar Wochen in seiner Gegenwart übergestülpt habe. »Wirklich. Du kannst mich jetzt loslassen.«

  Er lässt die Hände sinken, als hätte ich ihn verbrüht.

  Mit beträchtlicher Mühe senke ich den Blick und schaue auf den Bettbezug. Meine Beine sind immer noch in die Laken verwickelt und zeugen von dem Kampf, den ich mit meinem Unterbewusstsein ausgefochten habe. Ich befreie sie und ziehe meine Knie an meine Brust heran. Gleichzeitig rutsche ich nach hinten gegen das Kopfteil, um ein wenig dringend erforderlichen Abstand zwischen uns zu bringen.

  Ich gehe davon aus, dass er ohne ein weiteres Wort verschwinden wird, aber zu meiner großen Überraschung bleibt er. Ein scheinbar endloses Schweigen macht sich breit. Als er es schließlich bricht, scheint er sorgfältig darauf bedacht zu sein, dass in seiner Stimme keinerlei Emotion mitschwingt.