Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Read online

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  »Das klingt ziemlich … makaber.«

  Sie lässt sich mit einem Seufzen auf den Lehnstuhl sinken. »Das macht man, damit das Volk eine Gelegenheit hat, den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Zu der eigentlichen Beerdigung ist nur die Aristokratie eingeladen.«

  Ich runzle die Stirn und verziehe die Mundwinkel nach unten. »Das erscheint mir nicht fair.«

  »Fair?« Sie schnaubt. »Das alles ist wirklich noch neu für dich, oder?«

  Ich ignoriere sie. »Wie viele Teilnehmer werden erwartet?«

  »Das halbe Königreich, so, wie es aussieht. Ich schwöre, auf den Straßen um die Kathedrale herum bilden sich bereits Schlangen, dabei beginnt die offizielle Totenwache erst morgen. Ich habe mehrere Gruppen gesehen, die Campingzelte aufgebaut haben, damit sie nicht ihren Platz in der Schlange verlieren.«

  »Das ist doch Irrsinn.«

  »Das ist Trauer . Du solltest mal sehen, was da draußen los ist. Das ist wie bei einer Zombieapokalypse. Das ganze Land ist zum Stillstand gekommen. Die Straßen sind wie leer gefegt, die Firmen sind geschlossen, die Leute gehen nicht zur Arbeit … Jeder Laden ist fest verrammelt, jede Flagge weht auf Halbmast. Riesige Menschenmengen kampieren draußen vor dem Krankenhaus und beten für Henry. Wir konnten heute Morgen beinahe nicht mit dem SUV durch die Eingangstore fahren.«

  »Wie …?« Ich wage es kaum, die Frage zu stellen. »Wie geht es ihm?«

  »Er lebt. Gerade so.« Sie wird ernst. »Ich war gestern Abend mit seiner Verlobten Ava Sterling unterwegs, als wir die Neuigkeit bei Twitter trenden sahen. Stell dir das mal vor. Du erfährst von Fremden im Internet, dass der Mann, den du heiraten sollst, beinahe bei lebendigem Leib verbrannt wäre.« Sie lacht bitter auf. »Eine ganz schön verrückte Welt, in der wir leben.«

  »Tut mir leid. Das ist schrecklich.«

  Sie nickt. »Wir sind sofort ins Krankenhaus gefahren und haben die ganze Nacht lang auf Neuigkeiten gewartet, bis die Ärzte uns anwiesen, nach Hause zu gehen und ein wenig zu schlafen.«

  Ich atme tief ein. »Also … wird er …«

  »Sterben?« Sie nimmt einen weiteren langen Zug. Rauchfäden kräuseln sich zu den Abdeckungen der Kassettendecke hinauf. »Das ist die große Frage, oder? Leider glaube ich, dass momentan nicht mal die Ärzte die Antwort kennen. Er ist noch nicht aufgewacht. Vielleicht wird er nie wieder aufwachen. Und falls doch … Wenn man bedenkt, dass aufgrund der Verbrennungen immer ein Infektionsrisiko besteht, seine Lunge und sein Herz durch den eingeatmeten Rauch Schaden genommen haben und er noch dazu einen Schlag auf den Kopf erlitten hat, durch den er bewusstlos geworden ist … ist es sehr gut möglich, dass er nie wieder derselbe Henry sein wird, den wir kannten.«

  Mein Mund wird trocken. Ich versuche zu sprechen, scheine aber irgendwie keine Worte finden zu können.

  Chloe zieht die Augenbrauen zusammen. »In der Zwischenzeit sitzen alle einfach nur zu Hause und verfolgen panisch die Nachrichten. Ich dachte, dass die Pressekonferenz, die Simms heute Morgen abgehalten hat, für ein wenig Ruhe sorgen würde, aber …«

  Mein Herz fängt an zu hämmern. »Pressekonferenz? Was für eine Pressekonferenz? Was hat er gesagt?«

  »Du weißt wirklich gar nichts, oder?«, fragt sie amüsiert .

  »Hat er …?«

  »Über dich geredet?« Sie verdreht die Augen. »Nein. Kein Wort. Soweit ich weiß, hat die Presse noch keinen Wind von dir bekommen.«

  Erleichterung durchströmt mich.

  Ich bin in Sicherheit.

  Zumindest für den Moment.

  Ein Blick auf Chloe – die sich nun quer auf meinem Lehnstuhl lümmelt und die Füße über eine der Armlehnen gelegt hat, sodass ihre Designerschuhe in der Luft baumeln – verrät mir, dass sie nicht vorhat, allzu bald zu verschwinden. Ich ignoriere mein Publikum und wühle in der Einkaufstüte herum, bis ich ein einfaches weißes Baumwolloberteil finde. Ich verziehe das Gesicht, als ich es aus der Tüte ziehe und den wenig schmeichelhaften Ausschnitt betrachte.

  »Was habe ich dir gesagt?« Chloe kichert. »Ein U-Boot-Ausschnitt .«

  Es mag hässlich sein, aber es ist besser, als nackt herumzulaufen. Ich ziehe es an und gehe den Rest der Klamotten durch, bis ich eine schicke marineblaue Caprihose entdecke. Sie ist vollkommen anders als alles, was ich besitze – viel zu elegant, um sie im Unterricht oder in der Klinik zu tragen. Als mein Blick auf das Preisschild fällt, wird mir sofort klar, warum ich keine derartige Hose besitze.

  »Herr im Himmel«, murmle ich. »Sind die Nähte etwa aus puren Goldfäden?«

  »Das ist einer der Vorteile, wenn man eine Prinzessin ist«, sagt Chloe gedehnt. »Die Klamotten sind der Hammer.«

  »Freut mich zu hören, dass es wenigstens ein paar Vorteile gibt.«

  »Bedeutend mehr als nur ein paar.« Sie macht eine ausschweifende Geste, und ich beobachte, wie ein winziger Ascheregen auf den makellosen Teppich niedergeht. »Sobald die Welt von deiner Existenz erfährt, werden die Designer Schlange stehen, um dich einzukleiden. Wenn du deine Karten richtig ausspielst, wirst du es in der Hand haben, eine Stilikone zu werden.«

  »Träume werden also tatsächlich wahr«, kommentiere ich sarkastisch.

  Sie zieht die Augen zusammen, obwohl ihr Blick schon ein wenig benebelt ist. »Weißt du, für jemanden, dem die Welt gerade auf einem Silbertablett serviert wurde, bist du eine ziemliche Spaßbremse.«

  »Besten Dank auch.«

  »Tja, wenn du jemanden suchst, der für dich eine Mitleidsparty veranstaltet, bist du bei mir an der falschen Adresse.«

  »Ich bin nicht auf Mitleid aus. Und du bist zu mir gekommen, wenn ich mich recht entsinne.«

  »Darum geht es nicht.«

  »Geht es hier denn überhaupt um etwas?«

  Sie verzieht die Lippen. »Ich kann dir alle Ratschläge geben, die du brauchst, wenn es darum geht, wie man an diesem Ort überlebt … aber du wirst sie vollkommen unverblümt bekommen. Und wenn wir Freundinnen werden sollen, werde ich im Gegenzug das Gleiche von dir erwarten.«

  »Schön. Du willst Ehrlichkeit?« Ich stoße die Einkaufstüte mit einer Armbewegung von meinem Bett und lächle, als sie auf den Boden fällt. »Bitte entschuldige, wenn ich nicht vor Freude in die Luft springe, weil mein neuer Lebensentwurf ›Emilia Lancaster: Stilikone‹ lauten soll.« Ich schnaube. »Ich will mehr vom Leben als teure Kleidung und langweilige Staatsbankette … und …«

  »Züchtige U-Boot-Ausschnitte?«

  »Genau. «

  »Dann verlang danach.«

  Ich blinzle sie langsam an. »Was?«

  »Verlang. Danach.« Sie rafft sich auf und schaut mich an, als wäre ich die größte Dumpfbacke, der sie je begegnet ist. Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich sofort an ihren Bruder. »Du bist eine verdammte Prinzessin. Du bist in eine Position gehievt worden, von der die meisten Menschen nur träumen können, bloß weil Linus es vor gut zwei Jahrzehnten zufällig mal mit deiner Mom getrieben hat.«

  Ich verziehe das Gesicht. »War diese Beschreibung nötig?«

  »Vermutlich nicht.« Sie drückt ihren Joint in dem Blumengesteck aus, das auf meiner Frisierkommode steht, und lehnt sich mit der Hüfte dagegen. »Da Henrys Leben momentan am seidenen Faden hängt und das ganze verdammte Land in Aufruhr ist … brauchen sie dich sehr viel dringender, als du sie brauchst. Das nennt man Einfluss , E. Das nennt man Macht . Hör auf zu jammern und nutze sie.«

  Ich schaue sie an und bin verunsichert, während ihre Worte durch meinen Kopf rauschen.

  Sie ist irgendwie genial.

  »Ich dachte, dass meine gute Fee Flügel und einen Zauberstab haben sollte«, sage ich schließlich und lächle, obwohl mir nicht danach zumute ist. »Stattdessen bekomme ich eine unflätige Kifferin in Designerklamotten?«

  »Tja, ich dachte, dass ich endlich einen angemessenen königlichen Titel erhalten würde, wenn meine Mom Königin wird«, gibt sie zurück und sprüht sich mit Parfüm aus einem Flakon ein, der auf der Kommode steht, um den muffigen Grasgeruch zu überdecken. »Stattdessen bekomme ich eine böse Stiefschwester mit kecken Brüsten und lila Haaren.«

  Ich lache. »Hast du noch nie was davon gehör
t? Das Leben ist nicht fair. «

  Sie bauscht ihr langes rotbraunes Haar auf, geht quer durchs Zimmer bis zur Tür und reißt sie auf. »Zum Teufel mit der Fairness«, sagt sie und zieht sarkastisch die Augenbrauen hoch. »Das Leben ist ein Schachspiel, E. Willkommen auf dem Brett. Ich schlage vor, dass du deine Züge sorgfältig wählst.«

  Mit einem letzten Augenzwinkern schlüpft sie in den Flur hinaus. Mir bleibt kaum Zeit, ihr ein verspätetes »Danke« hinterherzurufen, bevor die Tür hinter ihr klickend ins Schloss fällt. Und zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, als mir klar wird, dass das Leben, das ich haben will, immer noch in meiner Reichweite ist. Ich muss nur mutig genug sein, danach zu greifen und es mir zurückzuholen.

  Das nennt man Einfluss, E.

  Es wird Zeit herauszufinden, ob meine gute Fee recht hatte.

  Eine Stunde später sind jegliche Hinweise auf mein Lächeln längst wieder verschwunden. Ich starre den korpulenten Mann, der mir den Weg in das private Arbeitszimmer versperrt, böse an. Sein Doppelkinn zittert vor rechtschaffener Empörung, während er von oben auf mich herabschaut.

  »Tut mir leid, Eure Hoheit, das ist gerade nicht möglich.«

  »Ich bin noch nicht gekrönt worden, Simms. Hören Sie auf, mich mit ›Eure Hoheit‹ anzusprechen«, schnauze ich. »Und gehen Sie mir aus dem Weg.«

  »König Linus ist zurzeit beschäftigt. Mit offiziellen Regierungsangelegenheiten.«

  »Ja. Das sagten Sie bereits.« Ich lege den Kopf schief. »Aber es ist so: Ich muss ihn trotzdem sprechen. Dringend.«

  »Er ist ein sehr beschäftigter Mann, Eure Hoh…« Er verschluckt sich, als er meinen tödlichen Blick sieht, und reißt das Ruder klugerweise herum. »… Miss Emilia. «

  »Zu beschäftigt, um mit seiner einzigen Tochter zu sprechen?«, frage ich, da ich verzweifelt genug bin, um jede Karte auszuspielen, die ich habe, wenn das bedeutet, dass ich dadurch bekomme, was ich will.

  Simms verlagert unbehaglich sein Gewicht, gibt aber nicht nach. »Leider kann ich keine Ausnahmen machen.«

  Ich verschränke die Arme vor der Brust und versuche, ihn einzuschätzen, als wäre er einer der Patienten in der Klinik. Ich versuche, ihn zu analysieren, wie es einer meiner Dozenten während einer praktischen Unterrichtsstunde tun würde.

  Sein schmissiger Kleidungsstil lässt einen Hang zur Theatralik vermuten … Er ist den Lancasters gegenüber absolut treu ergeben, sozusagen eine Frage des Stolzes … Er strebt eine lange Karriere in Verbindung mit der königlichen Familie an …

  Wenn man dann noch bedenkt, dass er zum Perfektionismus neigt und sich auf beinahe krankhafte Weise zu wichtig nimmt, kann ich nur einen potenziellen Riss in seiner Rüstung erkennen: Es liegt nicht in seiner Natur, jemanden zu verprellen, der ihm irgendwann einmal dabei behilflich sein könnte, seine Position zu verbessern.

  Jemanden wie mich.

  Ich muss ihm diese Tatsache lediglich ins Gedächtnis rufen.

  »Sie wollen mir also sagen, dass der König zu beschäftigt ist, um mit der einzigen Erbin von Caerleon zu sprechen?«

  »Es tut mir leid … aber …« Simms gerät ins Wanken.

  »Wissen Sie, Gerald – darf ich Sie Gerald nennen?« Ich lehne mich vor und schaue direkt in seine braunen Knopfaugen. »Für mich ist das alles noch neu, also verzeihen Sie mir, wenn ich falschliege … Aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mir die Frau, die diese ›offiziellen Regierungsangelegenheiten‹, über die sie dort hinter diesen Türen diskutieren, möglicherweise eines Tages übernehmen wird, nicht zur Feindin ma chen. Und als Ihre Prinzessin …« Ich verkrampfe den Kiefer zu einem süßen Lächeln. »Vielleicht sogar als Ihre zukünftige Königin … schlage ich vor, dass Sie mich hineinlassen.«

  Sein Gesicht wird ein wenig blasser. »So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt …«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch und warte.

  Schätzungsweise drei Sekunden später vollführt er auf seinen glänzenden Schuhen eine Drehung und klopft leise an die Tür des Arbeitszimmers. »Eure Königliche Majestät? Bitte verzeihen Sie die Unverfrorenheit …«

  Mein Lächeln kehrt zurück.

  Ich habe in der Tat Einfluss.

  9. KAPITEL

  Ich sitze auf einem ledernen Stuhl vor einem gewaltigen Mahagonischreibtisch und bin in einen Anstarrwettbewerb mit dem Vater verwickelt, von dem ich wünschte, dass ich ihm nie begegnet wäre. Und ich befürchte, dass ich ihn nicht gewinnen kann. Es ist beinahe so, als würde ich in meine eigenen Augen schauen – sie sind genauso tiefgrün, haben die gleiche leichte Mandelform, und tief in ihnen liegt die gleiche Mischung aus Neugier und Vorsicht, während wir einander abschätzen.

  Nur wir zwei sind im Zimmer. Er hat seine Berater und seine Leibgarde weggeschickt, als er mich in der Tür zu seinem Arbeitszimmer herumstehen sah, während Simms neben mir Entschuldigungen gluckste. In der erdrückenden Stille, die nun herrscht, erwische ich mich dabei, wie ich mir wünsche, dass sie geblieben wären. Plötzlich kommen mir Zweifel an meinen Gründen, auf diesem Treffen zu bestehen.

  »Also.« Linus legt seine Hände aneinander und lehnt sich auf seinem Lederstuhl zurück. »Du wolltest mich sehen.«

  Ich nicke.

  »Ich muss schon sagen, dass ich überrascht bin. Wenn man deine Reaktion von gestern Abend bedenkt.«

  Ich kneife die Augen fest zu, als ich mich an meinen Ausbruch erinnere. Die Worte »Du kannst dir dein königliches Vermächtnis in den Hintern stecken« laufen in Endlosschleife in meinem Kopf ab. Das war nicht gerade einer meiner besten Momente.

  Ich kann mich nicht zu einer Entschuldigung durchringen, aber ich schaffe es, eine angemessen trotzige Miene aufzusetzen. »Gestern Abend war ich überwältigt und erschöpft. Das war … eine Menge Zeug, das ich auf einen Schlag verarbeiten musste.«

  »Trotzdem hätte ich gedacht, dass du mittlerweile schon auf halbem Weg nach Hawthorne sein würdest.«

  Ich zucke erschrocken zusammen, als er das kleine Viertel in Vasgaard erwähnt, das ich als mein Zuhause bezeichne.

  »Bist du überrascht, dass ich weiß, wo du aufgewachsen bist, Emilia?«, fragt er sanft. »Wärst du überrascht zu erfahren, dass ich eine ganze Menge über dich und das Leben, das du geführt hast, weiß?«

  Diese Frage würde ich nicht mal mit der Kneifzange anrühren. Die potenzielle Antwort ist zu beängstigend.

  Mein Puls schlägt schneller. »Wenn ich ehrlich bin, überrascht es mich eher, dass du mich überhaupt nach Hause gehen lassen würdest.«

  »Du bist keine Gefangene, Emilia. Du wurdest zu deinem eigenen Schutz auf das Lockwood-Anwesen gebracht, weil eine Notfallsituation eingetreten ist. Und egal, was du denken magst, alle in diesem Haushalt freuen sich sehr, dich hier zu haben.«

  »Ja, das ist genau der Eindruck, den mir die bewaffneten Wachmänner, die mich gegen meinen Willen hierhergezerrt haben, vermittelt haben.« Ich schnaube. »Und vor allem deine Frau hat mich hocherfreut willkommen geheißen.«

  »Ich gebe zu, dass einige mehr Probleme mit dieser Veränderung haben als andere.« In seinen Augen blitzt Belustigung auf. »Aber selbst Octavia wird sich irgendwann damit abfinden. «

  Ich starre ihn skeptisch an.

  »Wenn ich fragen darf … Was führt dich zu mir?« Er hustet – ein feuchtes, rasselndes Geräusch, das mich an den Husten meiner Mutter erinnert, bevor sie ins Krankenhaus kam. Ich versuche, mich auf die Themen zu konzentrieren, die ich ansprechen wollte, aber es fällt mir schwer.

  Ist er krank?

  »Emilia?«, drängt Linus. »So sehr ich deine Gesellschaft auch genieße, gibt es Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss. Wenn du mir nicht sagst, warum du hier bist …«

  »Ich wollte dir einen Handel vorschlagen«, platzt es aus mir heraus.

  »Oh?« Seine Miene wird neugierig. »Und wie soll der aussehen?«

  »Du willst etwas von mir – brauchst etwas, um genau zu sein«, korrigiere ich mich recht unbeholfen und wünschte, dass meine Worte so aus meinem Mund kommen würden, wie ich es vorhin vor dem Badezimmerspiegel geprobt habe. »Aber ich brauche im Gegenzug
auch einiges.«

  Er zieht die buschigen grauen Augenbrauen hoch. »Sprich weiter.«

  »Ich …« Ich zwinge die Worte über meine Lippen. »Ich werde mich bereiterklären, darüber nachzudenken , deine Erbin zu werden – und damit meine ich, dass ich wirklich ernsthaft darüber nachdenken werde, vollkommen offen und unvoreingenommen. Aber das kann ich nicht, wenn mir die ganze Welt dabei zusieht. Ich möchte gern herausfinden, wie dieses Leben wäre, ohne dass ich dabei unter dem wachsamen Blick der Öffentlichkeit stehe.« Meine Wangen laufen rot an. »Keine königlichen Bekanntmachungen. Keine Presse. Kein Druck.«

  Er zeigt keine Reaktion .

  Ich atme tief ein, um neue Kraft zu schöpfen, und rede weiter. »Auf diese Weise kannst du mir etwas über das Königreich, dieses Leben und die Verantwortung beibringen, die das Dasein als Mitglied der Königsfamilie mit sich bringt, bevor ich für alle Ewigkeit eingesperrt werde. Falls es dir gelingt, mich zum Bleiben zu bewegen, werde ich meine Rolle als Kronprinzessin annehmen. Aber falls nicht … wirst du mir erlauben, in mein altes Leben zurückzukehren. Ich werde in keiner Weise dazu verpflichtet sein, den königlichen Titel jemals anzunehmen.« Ich zucke leicht mit den Schultern. »Nenn es eine … Probezeit.«

  Überraschenderweise lacht er mich nicht aus. Er neigt einfach nur den Kopf und fragt: »Und wie lange würde diese ›Probezeit‹ dauern?«

  »Ähm …« Mist, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. »Ein Jahr?«

  »Bis zu meiner offiziellen Krönung«, kontert er mit einer Miene, die ich nicht deuten kann. »In einem Monat.«

  »Aber das ist nicht mal ansatzweise genug Zeit! Wie kann ich denn …?«

  »Das hier soll ein Handel sein, oder etwa nicht?«, fällt er mir mit strenger Stimme ins Wort.

  »… ja.«

  »Und dir ist bekannt, was dieses Wort bedeutet, richtig?«

  Ich kämpfe gegen den Drang an, ihm wie ein Kind die Zunge rauszustrecken und murmle: »Ein Kompromiss zwischen Parteien mit gegensätzlichen Interessen.«

  »Genauso ist es. Allerdings sind meine Interessen in diesem Fall zeitkritisch.« Er lehnt sich wieder auf seinem Stuhl zurück und legt erneut die Hände aneinander. »Ein Monat – während dieser Zeit wird deine Identität streng geheim gehalten. Niemand außer der direkten Familie, den Bediensteten und den Sicherheitsleuten wird erfahren, wer du bist. Du wirst mir für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung stehen und dich als königliche Beraterin oder etwas ähnlich Angemessenes ausgeben. Außerdem wirst du Unterricht in Außenpolitik, Gesellschaftstanz und angemessenen Umgangsformen von einer Lehrperson meiner Wahl erhalten.«